28.09.2019

Richard Didicher: Zwei Setter auf der Suche nach den Kinderhänden  

Fortsetzung

Als die Haustürglocke ertönte, öffnete Ursula die Tür, um nachzusehen ob einer von Noldis Mitarbeiter wieder seinen Schlüssel vergessen hatte, denn das kam öfter vor. Charlie und Lovebird schossen an ihr vorbei und verkrochen sich unter dem Küchentisch. Noldi konnte dieses Verhalten nicht deuten und ging ebenfalls zur Tür, um den Grund für diese Hektik zu erfahren.

„Wir haben sie gesehen, wir lassen uns nicht täuschen“, rief Grunz aufgeregt und Hüpfer nickte beflissen. Ursula und Noldi konnten sich noch immer „keinen Reim“ auf diesen morgendlichen „Besuch“ machen.

„Zuerst einmal Guten Morgen. Und jetzt klären Sie uns auf, welchem Anlass wir diesen „Überfall“ verdanken “, erwiderte Ursula. Das Gespräch fand über den Gartenzaun statt. Normalerweise sind Ursula und Noldi freundliche Menschen und bitten den Besuch zuerst ins Haus. Scheinbar wussten sie aber, dass diesmal Vorsicht geboten war.

Herr Hüpfer, der sich mal wieder weltmännisch geben wollte, begann mit seinem Vortrag:

„Wir sind Ihnen zu höchstem Dank verpflichtet, dass Sie die Ausreißer aufgenommen haben, wir werden für die Futterkosten aufkommen. Es sind wertvolle Tiere, die wir für teures Geld gekauft haben, sehr gutes Zuchtmaterial, das bei Ihnen ungenutzt verkommt und das bei uns ordentlich Deckgebühren einbringen wird.“

Noldi, der längst verstanden hatte, worum es ging, hatte das Gefasel satt und, obwohl Unhöflichkeiten ihm nicht lagen, beendete er den Auftritt:

„Meine Herren verlassen Sie unser Grundstück, wir können Ihnen nicht weiterhelfen.“

Grunz in seiner einfach gestrickten Art polterte los, dass das Zurückhalten der beiden Hunde Diebstahl wäre und sie sich an die Kantonalpolizei wenden würden.

Stunden später kamen sie mit zwei Beamten wieder, denen die Angelegenheit sehr peinlich war. Sie kannten Noldi als einen seriösen Mann, den sie achteten.

Sie legten eine Eidestattliche Erklärung vor, die von Hüpfer und Grunz unterzeichnet war und die aussagte, dass sie die rechtmäßigen Besitzer der beiden Hunde wären.

Noldi überflog dieses einfach verfasste, orthographisch bedauernswerte Papier und reichte es dem Beamten zurück.

Einer der Polizisten, der helfen wollte, machte den Vorschlag, die beiden Hunde bis zur endgültigen Klärung im Tierheim unterzubringen.

Davon hielt Noldi aber gar nichts und nach einem gescheiterten Versuch, die Tiere den beiden abzukaufen, fanden sich Lovebird und Charlie vor Angst zitternd im weißen, dunklen Transporter wieder.

Von einem Tag zum anderen hatte sich in ihrem Leben alles verändert. Gestern tobten sie noch mit den Welpen im Garten und Lovebird war so stolz, dass Feja, die wieder bei vollen Kräften war, ihnen dabei zusah.

Und Charlie dachte nur an die warmen Hände von Hella, die das ganze Leid, das ihm auf der Zwingeranlage widerfahren war, abstreiften und wegzauberten.

Wie bei der nächtlichen Überfahrt auf der Fähre von Dover nach Calais kauerten sie sich sitzend aneinander. An Liegen war nicht zu denken, da der Blechboden des Fahrzeugs wie damals streng nach Urin roch.

Und wieder weinte ein kleines Mädchen, diesmal in der Schweiz, bitterlich. Feja, die nicht verstand, was vorgefallen war, stand am Gartenzaun und blickte unentwegt in Richtung Straße.

Hella hatte sich nach diesem Vorfall zum ersten Mal in den Ferien mit einem Buch in den letzten Winkel des Gartens zurückgezogen. Sie wollte alleine sein.

Ursula ging es nicht anders, gut, dass es die Welpen gab, die sie etwas ablenkten. Sie streichelte sie alle einzeln über den Kopf. Als der Rüde mit dem weißen Fleck an der Reihe war, hielt sie inne. Ein kleines Lächeln huschte über ihr trauriges Gesicht. Sie sah Noldi an, der sich auf der Küchenbank niedergelassen hatte, und ohne ein Wort zu sprechen, verstanden sich beide.

Ursula nahm den Welpen auf den Arm und sie gingen in den Garten auf der Suche nach Hella.

Als sie sie fanden, legten sie Hella den Welpen in den Arm und gingen wieder. Fast beiläufig sagte Noldi: „Es ist Lovebird Junior, natürlich nur solange, bis du einen anderen Namen für ihn gefunden hast. Ab heute gehört er dir. Du weißt, ein Hund bedeutet auch viel Verantwortung. Doch du wirst es schaffen, schließlich bist du ja unsere Enkeltochter, auf die wir sehr stolz sind.“

Hella drückte den Kleinen fest an sich. Für einen Augenblick war sie wieder glücklich.

Nach Stunden der Fahrt hielt der weiße Lieferwagen auf einer Wiese neben einem großen Transporter, aus dem es kläffte, was das Zeug hielt. Zwischendurch war aus dem Inneren des riesigen Fahrzeugs auch ein klägliches Winseln zu hören.

Die Tür des Lieferwagens wurde aufgerissen und Charlie und Lovebird mit Würgeleinen nach draußen gezogen. Ein gut gelaunter Mann in Gummistiefel kam auf sie zu.