Richard Didicher: Bianca, der Hund, bei dem ich in die Lehre ging

Geboren im Jahr 1979, also vor fast vierzig Jahren, mit viel trauriger Aktualität, wie die Auseinandersetzungen zwischen Schiiten und Sunniten, Cap Anamur und Flüchtlinge in Seenot, Autonomiezusagen an Katalonien, Hurrikan in der Karibik mit vielen Toten, aber auch glücklicherweise überholte Berichte über mutige DDR-Bürger im Heißluftballon.

Nach einer spannenden, fast schlaflosen Nacht in München, die Aufregung hatte ihren Teil dazu beigetragen, fuhr ich auf einer bayerischen Landstraße dem großen Ziel entgegen. Es war der Tag, an dem ein kleiner Setter acht Wochen alt war und angeblich auf mich wartete.

Diese Formulierung des sonst wortkargen Züchters war schon deshalb ungewöhnlich, weil er in einem Telefongespräch nebenbei erwähnte, dass er die kleine Hündin trotz des geringen Geburtsgewichts am Leben ließ, da es im Wurf nur zwei Weibchen gab.

Hundert Mark weniger, weil der Winzling nach seinen Aussagen nicht für die Zucht in Frage kam, passten zu meinem damaligen Studentenbudget. So fuhr ich voller Erwartung durch die idyllische Landschaft, die Ortsschilder wurden kleiner und kleiner, zuletzt war es nur ein kunstvoll verziertes Brett mit dem Namen „H“.

Ich lief die schmucken Landhäuser, die alle ähnlich aussahen, entlang und suchte nach einer Hausnummer, die hier scheinbar überflüssig war. Plötzlich ein ohrenbetäubendes Gekläffe, ganz hell, dazwischen das Geschrei einer Frau und das aufgeregte Schnattern einer Entenmutter. Durch den Zaun bot sich uns ein ungewöhnliches Bild. Eine Schar Setterwelpen jagte halbwüchsige Enten, eine aufgebrachte Frau versuchte das Schlimmste zu verhindern.

Als ich eintrat, ließ die Rasselbande von den Enten ab, die Neugierde über den Besuch war zu groß. Nur ein kleines, renitentes Etwas machte weiter.

Die Frau schrie: „Kruzifix, die kloane Sau bringt mir alle Anten um“ und zu uns zugewandt: „Sie sind der aus Heidelberg, das is ihre, nehmen sie sie endlich, sonst daschießt sie mei Moo“. Und ich hatte sie schon auf dem Arm, sie machte es sich bequem, blinzelte mich an, als wollte sie mir sagen: „Klappt schon, guck nicht so blöd, diese dummen Enten können auch so schön provozieren“.

Ich bezahlte schnell mein kleines Teufelchen und machte mich aus dem Staub, das schlechte Gewissen, das das kleine quirlige Ding nicht besaß, hatte sich auf unerklärlicher Weise auf mich übertragen.

So begann das große Abenteuer. Was die Kleine nicht wusste, ich war genau so unvernünftig, denn wir fuhren nicht Richtung Norden, sondern in den Süden: Urlaub mit Hund. Das sollte spannend werden.

Zu erwähnen wäre noch, dass ein häufiges Kratzen mich zu einer Körperkontrolle veranlasste und siehe da, ich hatte viele kleine schwarze Tierchen im Fell des neuen Familienmitglieds mit erworben.

Im nächsten Ort kaufte ich in einer Apotheke für die Kleine das erste Geschenk: ein Flohhalsband.

Unser Urlaub hatte seine Spuren hinterlassen, in erster Reihe an meinen Armen. Wir haben an Erziehung und Ernährung alles falsch gemacht, was möglich war.

Fazit: Menschen sind freundliche Wesen mit vielen Händen zum Streicheln, große Bewunderer dieses schönsten Welpen aller Zeiten und immer bereit zum Spielen.

Im Studentenwohnheim folgte die Fortsetzung. Dieser kleine verbotene Hund war eine Sensation und die müden Ausläufer der 68er konnten, da die Revolution zu Ende war, von dem wirren stürmischen Hundekind nicht genug bekommen. Toben war angesagt, Holzknöpfe von den selbstgestrickten Ökojacken abknabbern und dazu kläffen und spielen.

Nachdem die Kleine zum halbwüchsigen Monster wurde und wir uns in einigen Heidelberger Altstadtkneipen Hausverbot einholten, war Erziehung angesagt. Heute gibt es im Umkreis zahlreiche Hundeschulen: Wie sag ich es meinem Hund flüsternd, Tellington-Touch, Clicker-Training und vieles mehr, ja es gibt große Hundepädagogen, wie Martin Rütter und andere Fernsehstars. Damals gab es den alten Trummler mit seinen Wildhunden und sonst gar nichts.

Ich sog bei einem Vortrag seine Worte auf und hoffte auf Hilfe. Seine These „Die Prügel, die der Welpe nicht bekommt, sind die Probleme, die der Besitzer später hat“ wollte ich nicht unbedingt auf mein halbwüchsiges Settermädchen übertragen, also suchten wir weiter nach einer Hundeschule und wurden fündig: Ausbildung im Pudelclub.

Eine Freundin lud uns an einem Sonntagnachmittag zu einem Kennenlerntreffen ein. Als wir ankamen, war man gerade beim Kaffeetrinken. In gepflegter Runde saßen seriöse Damen und Herren an einem geschmückten langen Tisch. Der eine oder andere hatte ein Zwergpudelchen auf dem Arm mit Schleifchen und Sonntagsfrisur.

Hier lässt es sich leben, dachte wohl meine Kleine, sah die putzigen Kerlchen beim Kaffee und sprang auf den Tisch, um jeden artig zu begrüßen. Die Tassen flogen durch die Luft, die Kuchenstücke konnten leider nicht alle vor dem gefräßigen Setterkind gerettet werden. Als ich sie endlich einfangen konnte, hatte sie den Tisch in voller Länge durchquert.

Das war es, dachte ich, und wir waren im Begriff den Rückzug anzutreten, als der Ausbilder streng auf uns zukam und sprach: „Dieser Hund muss erzogen werden“.

Also fanden wir uns jeden Donnerstag zum Unterricht ein, der so begann: Hundeführer X meldet sich mit Hund Y zur Ausbildung. Die Kleine lernte schnell: Sitz, Platz, über Hürden springen, einiges Brauchbare und viel Unnützes.

Einmal nahmen wir sogar am Pudelrennen teil und wurden Sieger, obwohl dieser Titel dem schwarzen Großpudel Elvis zustand, der stets seine Gegner in die Flucht schlug und dann langsam durchs Ziel trabte.

Dieser tollpatschige, arrogante Kerl, stellte sich an einen Baum zum Pinkeln und fixierte seine Konkurrenten. Ich winkte mit der Leberwurst und die Kleine war nicht zu bremsen. Den gleichen Eifer legte sie später bei manch einem Hasen an den Tag. Wir erhielten eine tolle Urkunde, die sie aus Langeweile schon im Auto zerlegte. War ja auch egal, aufhängen hätte man sie sowieso nicht können, schon wegen der Blamage. „Setter gewinnt Pudelrennen“ stand dennoch Montagmorgen in der Lokalpresse.

Das war zu viel des Guten und wir blieben diesem Treiben fern. Ich hatte mein Staatsexamen bestanden und Bianca und ich waren beide „vogelfrei“ - und wir tauschten die mondäne Pudelwelt gegen die Dossenheimer Felder ein.

Mein verrückter Hund lehrte mich alles: wo die Fasanengockel balzen, wo die Rebhühner ihr Sandbad nehmen und wo die Hasen stets für einen Sprint bereit stehen. Letzteres wurde zu ihrer Lieblingsbeschäftigung und die meine - Warten auf ihre Rückkehr - wurde immer länger.

Zeitlebends verfolgte mich das Jägerlatein meines Großvaters, diese herrlichen Geschichten meiner Kindheit und jetzt hatte ich einen Jagdhund, also meldete ich ihn zur ersten Prüfung in einem Revier in der Pfalz und prompt kam auch ihre erste Läufigkeit.

Darin sah der Prüfungsleiter, den ich telefonisch darüber unterrichtete, kein Problem. Sie würde als Letzte dran kommen, wenn die Rüden geprüft wären, meinte er.

Pünktlich fuhr ich nach O. und war stolz, Teil der sogenannten Korona zu sein, dieser Wagenkolonne von passionierten Hundeführern, die einen Neuling recht freundlich aufnahmen, bis sie erfuhren, dass meine Hündin läufig ist. „Der Hund bleibt im Auto, der macht unsere Rüden verrückt!“ Dieser Bass-Stimme wagten wir nichts entgegenzusetzen; ich wenigstens nicht. Bianca kläffte unentwegt im Auto. Es war der erste sehr warme Frühlingstag und sie saß auf dem Rücksitz.

Von diesem Logenplatz konnte sie die Suche der Konkurrenten noch besser beobachten. Das machte sie noch wütender.

Ich kurbelte die Scheiben meines Fahrzeugs leicht herunter, um ihr ein bisschen Kühlung zu verschaffen. Das war für sie wie eine Aufforderung, sie zwängte sich durch den Spalt und beteiligte sich fröhlich an der Suche. Das Geschrei war groß: „Die heiße Hündin muss sofort ins Auto!“. Beeindruckt gab ich klein bei. Verärgert über die Humorlosigkeit dieser anfangs so freundlichen Menschen, setzte ich mich zu Bianca ins Auto. Doch woher kam dieser furchtbar stinkende Geruch?

Die Ursache war schnell gefunden. Mein Hündchen duftete nach derbem Stallmist. Bei ihrem Befreiungssprung aus dem Autofenster landete sie scheinbar in einer Jauchenpfütze. Die raffiniertesten Duftbäume, die ich in mein Auto hängte, konnten diesen Gestank nicht übertönen.

Noch Wochen danach roch es nach „Tannenbaum- Stallmist“.

Wie die Prüfung zu Ende ging?

Als die Sonne bereits hinter den Hügeln verschwand, hatten wir an einem kahlen Acker unseren ersten Suchgang, so der Form halber, denn es schien kein Richter mehr interessiert zu sein, diesen „renitenten“ Hund zu prüfen. Schnell kam der Abpfiff: mangelnde Suche, durchgefallen.

Auf dem Weg zum Auto ging ich kleinlaut und zähneknirschend neben den Herrn Juroren, die mir fachmännisch erläuterten, dass dieser Hund nicht wisse, worum es geht. Das schien für meine rote Rebellin zu viel gewesen zu sein. (Ich war bei diesem Hund immer ernsthaft überzeugt, dass sie die Sprache der Zweibeiner verstand). Plötzlich war sie weg. „Jetzt haut sie auch noch ab“, raunte der Jüngere.

In einem Weizenfeld wurde sie langsamer, begann wie eine Katze zu schleichen und stand plötzlich fest vor. Sie wartete geduldig in dieser Pose bis ich bei ihr war, beäugte mich aus dem Augenwinkel, machte einen Schritt nach vorne und ein Pärchen Hühner strich ab.

„Zu spät“ tönte die Stimme des Richtergottes. „Die Sache ist bereits beendet!“

Nein, dies war erst der Anfang. Ich hätte es dabei belassen sollen. So wären mir viele traurige Bilder erspart geblieben. Aber der Setter ist doch ein Jagdhund. In ihrem Stammbaum war das alte irische Jagdhundegeschlecht ordentlich vertreten, glücklicherweise waren es damals noch Hunde, die als Setter zu erkennen waren. Die späteren Generationen, die nach Deutschland gebracht wurden, ließen vom Aussehen her den Irish Setter nur noch erahnen.

Wir erlebten noch herrliche Tage im Feld, wir bestanden Prüfungen und Bianca setzte sich durch gegen namhafte Konkurrenten und ihren Führern mit großen grünen Hüten und Gamsbart.

Wir haben zusammen Italien bereist, im Zelt geschlafen, im Meer geschwommen, mit Frauen geflirtet oder sie verbellt, leider meist die hübschen, und unsere improvisierten Mahlzeiten geteilt.

Natürlich hatten wir auch mächtig Stress, bis klar war, wer Hund und wer Herr. Als die Rangordnung, stand, hielt die „Abmachung“ ein ganzes Hundeleben.

Natürlich hatte sie auch Nachkommen. Das Züchten hatte ich, wie es heute so schön heißt, in den Genen. (Ich habe als Kind Tauben, Hasen, Hühner und alles was ein Bauernhof so hergibt gezüchtet) Schade nur, dass gerade die Gene meiner Hundedame durch Unverstand der Menschen, die glaubten, durch sehr enge Verpaarungen den Superjagdhund zu züchten, sich dafür wenig eigneten.

Leider stellt man das erst oft zu spät fest. Man bekommt die Antwort: „So züchtet man heute Hunde“.

Welch eine menschliche Dummheit! Hunde sind ein Kulturgut, das Jahrtausende überlebt hat und der Mensch hat kein Recht, es zu zerstören.

Meine Hundedame hatte mehr Glück als einzelne ihrer Kinder. Sie genoss ihren Lebensabend.

Auch im hohen Alter entging ihrer Nase kein wohlriechendes Düftchen, unsere Spaziergänge wurden kürzer, zuletzt nur noch bis zur Fasanenvoliere.

Als sie auch dazu nicht mehr bereit war, wollte sie nur noch einschlafen.

Diese Momente des Abschiednehmens, aufgereiht zwischen so vielen hellen, lebendigen Gedanken, sind stumme Erinnerungen, nicht bestimmt für die Öffentlichkeit, ein kleiner, trauriger Teil einer herrlichen Freundschaft.