Richard Didicher: Denise, die englische Lady

Sie war eine echte kleine englische Prinzessin und sie war als Baby so schön, wie ein Setterkind nur sein konnte.

Wer hätte es gedacht, dass dieses kleine zarte Hündchen geboren wurde, um die Begründerin und Stammmutter eines großen Settergeschlechts zu werden.

Sie wurde 1982 in ein Jahr voller Widersprüche hineingeboren: Nato-Gipfel in Bonn, Helmut Schmidt geht, Kohl kommt. Abba gibt es nicht mehr und der große Stern Romy Schneider erlischt in Paris für immer. In einer schmutzigen Kleinstadt liegt ein Starwelpe in einer alltäglichen englischen Wurfkiste, der dem Zeitgeist entsprechend „ Dutch Peace“ genannt wird, und Nicole singt den Wunsch aller Deutschen in die Welt: „Ein bisschen Frieden“…

Ich wollte keine Kosten und Mühen scheuen, um ein Setterkind von dieser Mutterhündin zu erwerben. Zahlreiche Fotos der Elterntiere pflasterten meinen Schreibtisch. Sah ich auf Ausstellungen Halbgeschwister, war ich aus dem Häuschen.

Ein langes Jahr Wartezeit wurde mir auferlegt, bis der Anruf aus Großbritannien erfolgte, dass die Welpen geboren sind und es mir gestattet sei, den Kaufpreis zu überweisen. Während sich die „Kosten“ im Rahmen hielten, begannen die „Mühen“ schon mit der Überfahrt.

Ein stürmisches Meer mit seekranken Passagieren, welche unentwegt versuchten, auf ihrem verzweifelten Gang zur Toilette das Gleichgewicht zu halten. Die vielen blassen Engländerinnen mit Kindern in kurzen Hosen, halb erfroren, oder Männer mit Bierflaschen, die dem Seegang trotzten.

In all diesen Stunden bläute ich mir ein, dass der Zweck die Mittel heilige und ich schon wusste, wofür ich diese Strapazen in Kauf nahm. Doch dies war erst der Anfang des Abenteuers. Ein spannender Tag in London nach einer durchwachten Nacht auf einer Ausstellung zwischen dreihundert Irish Setter, im Schlepptau zweier Damen mit Weltruf Janice und Willy, die Begründerinnen der Dynastien Cornevon und Westerhuy und immer wieder am Stand einen kleinen Whisky auf die neue Freundschaft und angeblich gegen Müdigkeit.

Diese kam dann auf der zweihundert Kilometer langen Fahrt zu dem kleinen roten Etwas, diesem roten Knäuel, dass vielleicht mal ein Setter werden sollte.

Linksverkehr, englischer Regen, ein ordentliches Tempo um unseren englischen Gide, der vorausfuhr nicht aus den Augen zu verlieren und immer wieder Kreisverkehr.

Endlich kamen wir an, mit Klein-Denise in meinem Arm schlief ich auf einem Sofa ein. Diese Angewohnheit sollte sie noch einige Monate beibehalten.

Es war der einzige Weg, der mich vor Überraschungen bewahrte und in mir die Suggestion von einem stubenreinen Hund festigte.

Sie war so anders als unsere Bianca.

Denise liebte Menschen, Ausstellungen, Fußgängerzonen. Bianca fühlte sich in Pfützen und Tümpeln oder in einem Feld voller Rebhühner und Kletten wohl. Aber sie mochten sich auch gegenseitig und wenn Not am Mann mit Flasche war, säugten sie gemeinsam die Welpen.

Denise liebte das Extravagante, sie war eine Räuberin mit Format. Einen Kuchenteller aus Meissner Porzellan transportierte sie heil -samt Inhalt - von der Küche auf die Terrasse in ihren Korb. Die Form war unversehrt, der Inhalt fehlte.

Hundefutter war unter ihrer Würde, Pfannkuchen hingegen „hatte sie zum Fressen gern“.

Vor den Ausstellungen verschmähte sie auch diese, nun war Käse in sämtlichen Variationen gefragt.

Sie war ein Hund mit menschlich geprägter stilistischer Vollendung. Die Rosen im Garten wurden Opfer ihrer ungestümen Jugend. Als sie eines Nachmittags mit einer roten Rose im Fang vor mir saß und mich mit ihren Knopfaugen ansah, war der Grundstein für die Sippe der „Red Loves“ gelegt und der passende Namen gefunden.

Sie war bei Herbstaufnahmen von Modezeitschriften im Heidelberger und Stuttgarter Raum ein nicht wegzudenkendes Accessoire für rothaarige, sommersprossige Mannequins. Wenn sie zum Abschied von ihresgleichen geknuddelt wurde, war für sie der Tag in Ordnung.

Auf Ausstellungen war ihr der zweite Platz und die Konkurrenz verhasst.

Lief aber alles nach ihren und meinen Vorstellungen, sprang sie mir vor Freude auf den Arm oder kläffte ohrenbetäubend.

Sie war die Henne im Korb und gab im Hause „ Red Love“ den Ton an. Ihr Hochmut geriet nur einmal ins Wanken: Als deutscher Hundestar besuchte sie ihre Mutter, die in den Niederlanden ihren Lebensabend verbrachte.

Ihr ungebremstes Selbstbewusstsein führte sofort zu einem Mutter-Tochter Konflikt, dessen Ausgang für die kleine Diva wenig ruhmreich war. Sie kauerte in einer Ecke der Couch während ihre Mutter drohend auf dem Couchtisch stand. „Lass sie nur“, sagte ihre Ziehmutter, das ist Familie, da soll man sich nicht einmischen.

Wieder in Deutschland hielt die Betroffenheit nicht lange. Am darauf folgenden Sonntag auf dem Hundeplatz war sie wieder in ihrem Element und sorgte bei ihren Artgenossen für (Unter-)Ordnung.

Showmäßig waren ihre Möglichkeiten auf Menschen- und Hunde-Ebenen fast ausgeschöpft.

Es blieb nur noch das Fernsehen, ich war ein eifriger Manager und ebnete ihr auch diesen Weg.

Eine Tiersendung bei RTL wollte endlich diese einmalig schöne Hunderasse vorstellen. Ein Film über Setter, tobend auf einer grünen Wiese oder einem Kaninchen vorstehend, bildete den Rahmen für den großen Studioauftritt der Diva: Drei rohe Eier, versteckt im Publikum, sollte sie finden und in unversehrtem Zustand dem Moderator apportieren.

Es war ein aufregender Tag für alle: Unsere Freunde waren dabei, einige Artgenossen, Tierdoktorstar….und die schöne, weitgereiste…. Jürgens.

Natürlich auch zwei Wettkandidaten, der eine dafür, der andere dagegen. Und natürlich gewann der Jasager.

Wenn ich so richtig überlege, der Anfang von „Wetten, dass“, dies lange vor Elsner und Gottschalk.

Die englische Lady meisterte ihren Auftritt mit Bravour, das Publikum klatschte artig, ihre Artgenossen jaulten vor Freude und sie verließ stolz die Bretter, die, die für die Menschen die Welt bedeuten.

Ihre wirkliche Bühne war der Hundeplatz, wo sie manchmal ihre Kinder und Enkelkinder in ihrer spröden englischen Art maßregelte; gelegentlich betrat sie aber auch die Ausstellungsbühne, natürlich um zu gewinnen.

Sie verbrachte ihren ruhigen Lebensabend mit uns, oft auf Reisen oder im Urlaub am Lago Maggiore, häufig in Begleitung ihres Sohnes Captain, der seit vielen Jahren an einem geheimen Ort an ihrer Seite ruht, bedeckt von grünem Rasen.