Richard Didicher, 02.02.2019

Die zwei feindlichen Brüder Captain und Condor

Das Jahr 1985: Der Boris aus Leimen gewinnt als Siebzehnjähriger das Grand Slam Turnier in Wimbledon und einige Kilometer entfernt in Bammental werden gleich zwei „ganze Kerle“ geboren: die Setterbrüder Captain und Condor - und auch sie verfügen über eine außerordentliche Schlagkraft, so dass es damals auch dem arrogantesten Schäferhund nicht einfiel, sich ihnen in den Weg zu stellen.

Die Literatur kennt den Begriff der Schwarz-Weiß-Malerei: der zahme, freundliche, friedliebende Karl Moor und der hässliche, böse Franz in Schillers Räuber.

Doch die moderne Welt ist komplizierter. Gut ist oft mit Böse vermischt und Schön oder Hässlich hängt oft vom Betrachter ab.

Die Hundewelt aber ist noch komplexer, da die Perspektive der Menschen eine Rolle spielt.

Natürlich kann ein Hund als Abbild seines Menschen nur schön sein und ein Setter erst recht.

Captain und Condor waren beide schön wie ein Setter nur sein kann, doch sie waren beide eitel und jeder von beiden gönnte keinem anderen Vierbeiner etwas, am wenigsten seinem Bruder.

Es war die Glanzzeit der Settertreffen; mit Hundeplätzen voll von feinen Heidelberger Damen, die mit einem roten Hund und einer Picknicktasche aus dem Feinkostladen anreisten.

Wahre Köstlichkeiten, was man von den Hunden, die die High Society Damen hinter sich her zogen, nicht unbedingt sagen konnte. Es war die Zeit, als die Setter noch Modehunde waren und die Pfalz als Heimat der Züchter ihr Bestes gab.

Sportwagen parkten vor unserem Hundeheim, Damen in Cartier und Herren in neonfarbenen Freizeitanzügen mit unerzogenen Hunden stiegen aus.

Nach fünf Minuten gab es das erste Gekreische, wenn zwei Nobelknaben sich verbissen hatten. Natürlich mischten Captain und Condor mächtig mit.

Respekt zollten sie nur ihrem niederländischen Vater, der für drei Monate zu uns zu Besuch kam, um das Vorstehhandwerk zu erlernen, ein Unterfangen, das leider nicht von Erfolg gekrönt war. Wenn aber seine halbstarken Söhne es mal wieder übertrieben, baute er sich auf, knurrte einmal und Ruhe kehrte ein.

Captain war schön, ein Liebling der Frauen, sanft zu Menschen, aber unerbittlich zu seinen Feinden.

Condor punktete immer im Feld, aber auch gegen Schäferhunde, Füchse und Marder.

Seinen ersten „offiziellen“ Sieg holte er sich in Bayern. Seine ehrgeizige junge Besitzerin führte ihn selbst zur Prüfung.

Einer der Richter, ein Kavalier alter Schule, der gerne Französisch parlierte, drückte der „Mademoiselle“ einen riesigen Colt in die Hand und sie schritt mutig hinter Condor her. Dieser kam in einer Manier zum Vorstehen, wie ich es vorher von ihm noch nie gesehen hatte, voller Spannung, einfach majestätisch.

Ich wusste, was nun folgte, der Fasan wird abstreichen und Condor ihn begleiten: weit, weit bis zum Horizont, so wie er es bei mir bei Enten , Fasanen, Krähen und Tauben immer getan hatte.

Diesmal traute ich meinen Augen nicht, ein Feldhuhn flog weg und Condor stand und wartete und ein zweites Mal war ich verblüfft: „Mademoiselle“ hob die schwere Knarre hoch, ein Schuss hallte über die grünen Weizenfelder und der große Jagdhund folgte nur mit sehnsüchtigen Blicken dem Federvieh.

Der Abend gehörte dem Sieger, denn er war der einzige, der eine Prüfung bestand.

Ich saß in der Ecke der Gaststätte und hörte mir vergnügt die Lobeshymnen über Hund und „Mademoiselle“, der Hundeführerin an.

Ich selbst hatte vorher bei einer Paarsuche mit Condor eine Niederlage bei den zwei größten Richtern aller Zeiten einstecken müssen. Der eine, damals ein junger, verliebter deutscher Gockel, der Condors Besitzerin heiße Liebesbriefe schrieb. Und da sie ihn nicht erhörte, mussten ihr Hund und sein Führer (also ich) dafür büßen. Hätte er doch seine überschwängliche Zuwendung seinen eigenen Hunden zukommen lassen. Es wäre bitter nötig gewesen.

Der zweite, eine Settermajestät aus Irland, stand im Feld in seinem englischen Lordjakett. Als Condors Partnerin, eine junge Pointerhündin, einen Fasan hochmachte und beide diesen mit Gejaule verfolgten, sprach der Mann nur ein kurzes „Thank you“ und strafte uns mit Verachtung. Wenn ich Fernsendungen mit Charles auf der Jagd in Schottland sehe, muss ich an diesen erlauchten Richter denken. Man sagt, die mehr als fünfzig Hunde des noblen Iren brachten in Erdlöchern ihre Welpen zur Welt. Schein und Sein, wie oft erlebe ich auch heute diese Gegensätze in der Hundewelt.

Captain mochte die Jagd nicht, dafür aber die Setterdamen.

Bei einer Ausstellung in Stuttgart sahen wir ein herrliches weibliches Setterexemplar aus dem Elsaß, schön wie eine Göttin. Die Richterin war wenig begeistert, die langen Haare an den Behängen der Hündin störten sie. Dies ist ein Indiz für einen Anfänger im Ausstellungsring und dergleichen muss aus Richtersicht nicht unbedingt gewinnen.

Dafür waren Captain und ich umso mehr begeistert und Monate später erblickten zehn Welpen in einem Penthouse in Straßburg das Licht der Welt und die nächste Generation des edlen Geschlechts der Red Loves war geboren.

Durch einen unglücklichen Zufall musste sich Condor das Liebesspiel des Paares mit ansehen und eine Feindschaft fürs ganze Leben begann.

Beide ignorierten sich, wenn ich dabei war und prügelten sich, wenn ich ihnen den Rücken zuwandte.

Sie waren in der Lage, die Zeit bei langen Fahrten stundenlang zusammen auf der Ladefläche meines Kombis zu verbringen, der eine nach rechts, der andere durch die linke Scheibe blickend.

Doch die dramatische Zuspitzung der Fehde kam bei den Dreharbeiten für eine RTL- Produktion.

Tiersendungen erhöhen die Einschaltquoten und Setter waren „in“.

Eine herrliche grüne Wiese und zwei Dutzend spielende Setter als Aufmacher und jeder ein Star.

Die mahagonifarbenen Haare glänzten in der Sonne, die Fernsehleute waren begeistert und Captain und Condor waren natürlich der Mittelpunkt.

Jeder gab alles, um die Aufmerksamkeit des Kameramannes auf sich zu ziehen. Condor warf sich in Vorstehpose, obwohl auf den ersten Blick kein Wild zu sehen war – später suchte ein stattlicher Hase das Weite; Captain stellte seine Männlichkeit zur Schau und flirtete mit der Dame von der Regieassistenz.

Das war für Condor zu viel. Eine Streicheleinheit der Lady brachte das Fass zum Überlaufen. Die beiden hatten sich wiedermal in der Wolle.

Ich musste schnell reagieren, die Show drohte zu kippen.

Ich sah schon die Bilder vor mir: Keifende, rote Monster und eine Hunde- und besonders eine Menschenwelt, die sich kaputt lacht.

Ich tat das, was man in solch einem Fall nicht tun soll. Ich griff dazwischen, um die Streithammel zu trennen, was mir auch gelang.

Der Preis meines Einschreitens war ein dünner roter Strich über dem Daumen meiner rechten Hand.

Ein Freund klebte mir dezent ein Pflaster darüber. Das Kamerateam war so mit sich selbst beschäftigt, dass es den Vorfall nicht sah oder sehen wollte.

Für die beiden Kampfhähne war es ein Glück, dass ich den Übeltäter nicht ausmachen konnte. Für beide stand die Chance fünfzig zu fünfzig.

Noch Jahre später, wenn ich mir die Aufzeichnung der Sendung ansah, amüsierte ich mich über meine rechte Hand, versteckt in der Tasche meiner Wachsjacke.

Beide Knaben wurden uralt, geliebt von Hundedamen zwecks Arterhaltung und vergöttert, verwöhnt und verstanden von Menschendamen.

Diese unheimliche Übereinstimmung der Gefühlswelt von Mensch und Hund wird in der modernen Wissenschaft immer wieder thematisiert, doch warum gibt es gerade die Wahlverwandtschaft zwischen Setter und Frauen, frage ich Marion, die sich mit Bisou und Jela (beide die siebte Generation nach Captain) auf unserer Terrasse in Frankreich sonnt?