Richard Didicher: Danae - 17.09.2019

Danae, Mademoiselle de Strasbourg

Sie stammte aus dem Geschlecht „ vom Kleinen Mimosenweg“, das wie ein Stern am Hundehimmel aufging und kurz darauf auch verschwand, doch hell genug, um in vielen Generationen weiter zu glühen. Französisch klingt es wie ein Gedicht: „du Sentier aux Mimosas“.

Bei einem Glas Champagner erzählten uns die jungen Züchter etwas verschämt, dass ihre Zucht nach dem kleinen Weg voller Mimosenblüten in der Provence benannt ist, da dort ihre Liebe begann.

Mademoiselle war schon in der Wurfkiste empfindlich wie eine Mimose, diese zarten Blumengeschöpfe des Südens, die ihre Blätter bei unerwünschter Berührung zusammenfalten. Wenn sie jemanden nicht mochte, wandte sie sich ab und verschloss sich, denn sie hatte bis ins hohe Alter eine ausgezeichnete Menschenkenntnis.

Geboren wurde sie standesgemäß in einer französischen Penthouse-Wohnung über den Dächern von Strasbourg. Man hatte kurzerhand das Arbeitszimmer geräumt, mit einer Folie ausgelegt, die Zahnarztpraxis für zwei Monate geschlossen und Welpen betreut. Der ach so typische Welpengeruch strömte ungeniert durch das Haus und wies dem Besucher den Weg vom Aufzug in die Wohnung.

Später, in Deutschland, verwandelte sie sich in eine aufreizende Rose mit kräftigen Dornenansätzen, die sie auch brauchte, um der Sippe ihres Vaters, den Red Loves, gerecht zu werden und um mit ihrer Oma Denise klar zu kommen, die sie mit einer unsanften Begrüßung in der neuen Heimat empfing. Es begann eine Woche der Provokationen: An den Ohren ziehen oder gezogen werden, was meine damals kleine Tochter scheinbar zu der Aussage bestärkte: „Ich lass mich von keinem erziehen!“, ein Satz der zu einem „geflügeltem Wort“ in unserer Familie wurde.

Als die Woche zu Ende war, wanderte die kleine Französin mit dem elsässischen Durchsetzungsvermögen um des lieben Friedens willen in das Nachbarhaus zu Tante Olga. Sie baute sich ihre eigene Residenz auf mit zwei lieben Menschen und einem Dackel als ihre Diener. An ihrem Anrecht als zukünftige Stammmutter hielt sie aber fest. Sehr früh stieg sie zur Sippenmutter auf und wartete huldvoll, dass die anderen Familienmitglieder ihres Rudels sie stets mit Schnauzeschlecken auf Wolfsart begrüßten.

Sie zählte zu den ersten Europäern der Setterwelt: Enkeltochter des großen Nightfever aus England, geboren in Frankreich, Wohnsitz in Deutschland, verliebt in der Schweiz.

Für Ausstellungen kehrten wir oft nach Strasbourg zurück, sie hatte „Hausrecht“, denn sie gewann immer. Hier traf sie auch ihre Brüder Dali, den Exzentriker, schön und erhaben, und Dollar, der Bodenständige, der Cowboy aus dem Film „Für eine Handvoll Dollar“.

Sie hatte mich auserkoren und sich für mich entschieden, sie vertraute mir bedingungslos, wir hatten zusammen viel erreicht und jetzt träumten wir (ich) vom Weltsieger. Eine einmalige Gelegenheit: Weltsiegerausstellung in Deutschland, eine Richterin, die sie mochte, die mich mochte. Was konnte schon schief gehen?

Das Unheil begann, als ich feststellte, dass der Tag der Ausstellung mit dem Abiturtermin an unserer Schule zusammenfiel. An jedem anderen Tag hätte ich mich „freigebettelt“, freiwillig Sitzungsprotokolle geschrieben, was ich nie tat oder jede unmögliche Ersatztätigkeit übernommen, aber Abi war eine hochoffizielle, hochernste Angelegenheit für alle Beteiligten, heute scheinbar nur noch für die Lehrer, denn ein Schüler muss sich heute gewaltig anstrengen, dass ihm dieses Reifezeugnis versagt bleibt.

Zähne knirschend ging ich in mich und fand eine Lösung. Eine Freundin sollte Danae mit zur Ausstellung nehmen, dort sollte sie meine erhabene „Hundementorin“ Willy vorführen. Diese willigte ein als ich ihr versprach, einen französischen Cognac in den Ausstellungsbeutel zu stecken.

Also saß ich beim Abitur und wartete auf den Weltsieger.

Ich musste mich bei meinen Fragen an meine Schüler höllisch konzentrieren. Es ging um Goethe in Strasbourg, seine Friederike aus Sessenheim - und ich dachte an meine Elsässerin auf der Welthundeausstellung.

Abends kam der niederschmetternde Anruf. Alles ging daneben. Danae weigerte sich von Anfang an einer Fremden zu folgen. Sie befreite sich einfach von der Ausstellungsleine und verließ pikiert den Ring.

Wahrscheinlich empfand sie es als Verrat, sie allein in die große weite Welt zu schicken, nur wegen eines Weltsiegertitels.

Wir versuchten es noch einmal gemeinsam auf der Welthundeausstellung in der Schweiz, doch das Pech verfolgte uns. Diesmal gaben wir als Team unser Bestes, doch der südamerikanische Richter ignorierte uns, da er sich mehr, scheinbar bedingt durch sein Temperament, auf seine flotte Ringsekretärin konzentrierte. Vielleicht eine böswillige Unterstellung. Dennoch kamen ihre Titel, der einer Diva gleich: Internationale Schönheitskönigin und Miss Deutschland und einiges mehr.

Doch Schönheit ist nicht alles. Danae wurde 1988 geboren. In diesem Jahr erlebte in Deutschland der weibliche Leistungssport seine erste Sternstunde. Als erste Deutsche gewann Steffi Graf alle vier Grand-Slam-Turniere. Der Sieg über die Argentinierin Gabriela Sabatini bei den US-Open hatte eine sensationelle Pokalserie vollendet.

Für eine Serie reichte es nicht, dafür aber für eine korrekte Prüfung in Bayern, zwar mit einem bescheidenen „gut“, zu dem sich der Richter herabließ, aber dennoch bestanden. Angeblich war ihre Spannung beim Vorstehen nicht so ausgeprägt, da sie einmal den Kopf suchend zu mir drehte, es war nämlich ein regnerischer Tag und der aufgeweichte Boden machte es mir schwer ihr zu folgen. Sie dachte wohl: „Wie lange soll ich noch vor diesem doofen Rebhuhn stehen?“ Doch wahrscheinlich war sie zu schön für seine Vorstellung von einem Leistungshund.

Dass muss der große Richter wohl gesehen haben, obwohl sie doch in eine Schicht von Lehm gehüllt war und wir es am Abend nicht wagten, mit diesem Hund das Hotel zu betreten.

Vielleicht wollten wir auch nach Hause, da die Herberge kalt und ungemütlich war.

Ihr Glück mit den Männern hielt sich in Grenzen.

Sie war ihnen nur in ganz wenigen Tagen, die durch ihre Hormone bestimmt waren, zugetan.

In der restlichen Zeit mussten die Kavaliere stets eine Tracht Prügel in Kauf nehmen, inklusiv ihrem Vater.

Ihr erster Mann war ein sanfter Engländer, der das große Glück hatte, auf einem idyllischen Bauernhof in der Nähe von Zürich zu leben. Hier war die Hunde- und Menschenwelt in Ordnung.

Vielleicht war das der Grund, warum sie ihn nicht schroff wie die anderen zurückwies oder war hier ein heimliches Wissen, dass es ihre Pflicht war, die Gene dieses Irishman, das war auch sein Name, für die Setterwelt zu erhalten. Deshalb kehrte sie noch ein einziges Mal zu ihrem Züchter zurück, der diese Verbindung wollte, um die Linie der „du Sentier aux Mimosas“ fortzuführen, nachdem die Schwester von Danae durch einen Autounfall ums Leben gekommen war

Einige Wochen nach dem Liebesakt kam auch dieser edle Rüde auf eine tragische Weise ums Leben.

Wiederum einige Wochen später wurden die zwei Stammhalter „Feu“ und „Fleur“ geboren.

Danae versuchte ihr Glück noch zweimal, einmal mit einem Holländer und ein letztes Mal mit dem großen Kindskopf Frederik.

Ice Ice Baby sollte die Dynastie der Strahlenburgs aufbauen und der Anblick der Kinder von Frederik ließ jedes Herz eines Setterliebhabers höher schlagen. Klangvolle Namen und ausgereifte Perfektion:

Kissing Doll, Grace Kelly, Kaschmir, Kouros.

Viele Jahre später stand ein trauriger Mann in Strasbourg am Ausstellungsring. Die heile Penthousewelt hatte sich zerschlagen und die Setter blieben auf der Strecke.

An einem jener stillen Abende, die geschaffen waren, dass Hunde und Menschen sich wie ihresgleichen unterhielten, versprach ich der kleinen Französin, den Namen ihres Geschlechts in den der Red Loves zu integrieren.

Es entstand ein Strauß starkduftender roter Rosen und zarter gelber Mimosen: The Red Love of Mimosa, voller Widersprüche und sich dennoch ergänzend wie alles Große in unserer Welt.