Richard Didicher - 16.03.2019 - Frederik - oder wie ein Engländer sein sollte

Er verbrachte seine Kindheit in England und wurde mit Fish&Chips ernährt.

Die englischen Züchter legen seit fast einem Jahrhundert die Maßstäbe für die europäische Setterzucht fest.

Doch welches sind diese Maßstäbe?

Die Antwort ist schnell gefunden: Ein einwandfreies Aussehen und ein friedliches Wesen. Wenn man eine Zucht nur auf zwei Kriterien aufbaut, muss das gelingen, wenigstens für eine Zeit, bis die im Erbgut angereicherten Fehler ihren Tribut fordern. Aus heutiger Sicht hat sich diese fatale These, die mir meine „Hausgenetikerin“ damals überzeugend vermittelte, größtenteils bewahrheitet.

Wir äugten schon nach diesen schönen Hunden, ignorierten aber die großen Namen, die jeder Züchter damals in seinem Stammbaum hatte oder haben wollte. Doch die englische Arroganz kann manchmal verletzend sein.

Wie es in der Adelswelt üblich ist, wurden Hochzeitspläne schon vor der Geburt der Königskinder geschmiedet. Ich sah für unsere Damenwelt aus dem Hause Red Love einen Prinzen aus einer für mich hochinteressanten englischen Verpaarung vor. Als die Königskinder endlich geboren waren, wurde mir die Nachricht zugestellt, dass mir die vierte Wahl von fünf Prinzen zustünde. Das war zu viel des Guten. Wenig vornehm lehnte ich diese Beleidigung ab.

Ein gutes Jahr verging, bis sich die bewährte holländische „Heiratsvermittlerin“ Willy meldete und verlauten ließ, dass der Erste-Wahl-Prinz zu haben sei, da er sich zu gut entwickle. Und da für die Engländer Präsentation und Repräsentation alles ist und da Frauchens Arme von Kopf bis Rutenspitze nicht zum Ausstellen reichten, wäre der zu fesche Prinz für die deutschen Damen zu haben. Natürlich stünde eine stolze Ablösesumme an. Fotos wurden geschickt, Gesundheitschecks (bei aristokratischen Vermählungen durchaus üblich) wurden jetzt trotzig von uns als Gegenleistung verlangt und alles kam wie es kommen musste. Erneut kam ein Anruf: Du kannst Frederik haben, so hieß der große warmherzige Tollpatsch.

Wir traten spät abends die Reise mit der Fähre über einen etwas aufgewühlten Ärmelkanal an, um nach einer schlaflosen Nacht eine Ausstellung mit fast dreihundert Settern zu besuchen.

Was man so sah, war nicht immer nach meinem Geschmack. Besonders die etwas schlaffen unteren Augenlider einiger Aristokraten machten mir zu schaffen, so dass ich in der kommenden Nacht träumte, Prinz Frederik würde mich mit solch einem dämlichen Blick anglotzen.

Am anderen Morgen fuhren wir vor dem Haus der Züchterin vor und mehr als ein Dutzend Setterköpfe und -pfoten hingen neugierig über dem etwa einen Meter hohen Gartenzaun. Da ich die meisten der anderen Hunde der Züchterin kannte (wenn ich einmal einen Setter gesehen habe, bleibt das Bild in meinem Kopf gespeichert), fiel mein Blick auf einen Kopf mit sanften braunen Augen, der sich nach vorne drängte, um ja nichts zu verpassen.

Ich musste nicht raten, welcher Frederik war. Seine kindliche Begeisterung übertraf das Gejaule der anderen und ich blickte in schöne dunkelbraune Augen.

Diese Augen drückten alles aus, was ein besonderes Wesen ausmacht: Zuneigung, Wahrheit, Ruhe und Besonnenheit.

Freudig, neugierig und bereit zu großen Abenteuern sprang er ins Auto und ließ ein Frauchen mit feuchten Augen zurück.

Er trat ja keine Reise ins Ungewisse an. Schließlich wurde in seinem Geburtsjahr mit dem Maastrichter Vertrag die Europäische Union endgültig Realität. Natürlich waren die Briten nie so richtige Europäer, was man von Frederik nicht sagen konnte. Er wurde schnell in der restlichen europäischen Setter-Damenwelt bekannt und ließ sich später seine Liebesdienste auch mit Euros vergüten.

Bis heute weiß ich nicht, ob seine Züchterin sich über die vielen Erfolgsmeldungen Frederik des Großen freute, die ich ihr regelmäßig zukommen ließ, oder ob sie mit dem Schicksal über ihre zu kurzen Arme haderte. Natürlich verpasste ich es auch nicht, ihr viele Fotos von Frederiks Töchtern und Söhne samt Championtiteln zu schicken.

All meine Vorsätze, Frederik anfangs an der Leine zu führen, warf ich schon an der Fähre über den Haufen. Ich leinte ihn ab und er belohnte mein Vertrauen durch seine Treue, die zeitlebens zu seinem Markenzeichen wurde. Es war so, als wäre er in unsere Hundewelt hineingeboren.

Natürlich hatte ich Bedenken, ihn sofort mit unserem zweiten Rüden, Feu, zusammen zu bringen, Deshalb sollte Frederik die ersten Wochen im Erdgeschoss verbringen und Feu auf der ersten Etage bleiben. Diesen Plan vereitelten sie schon nach dem ersten Tag, da Feu Türen öffnen konnte. Als wir von der Schule nach Hause kamen, lagen beide friedlich nebeneinander auf der Couch. Es war der Anfang einer echten Männerfreundschaft, die ein ganzes Hundeleben lang hielt.

Eigentlich wurde er von Feu vom ersten Tag an „unter die Fittiche genommen“. Feu ging keinem Fight mit anderen Rüden aus dem Weg und Frederik konnte sich zurücklehnen und abwarten. Wahrscheinlich dachte er: „Der macht das schon für mich“. Durch seinen majestätischen Wuchs überragte er sowieso alle anderen. Die wenigsten wollten sich mit ihm anlegen und wenn es geschah, wurde das Problem von Feu schnell „beseitigt“.

Natürlich wurde er von Feu auch benutzt. Dieser verstand es hervorragend, die Tür vom Hundezimmer leise von innen zu öffnen, dies ins Besondere, wenn im Wohnzimmer Besucher die Couch „in Anspruch nahmen“. Feu sprang auf das Sofa, öffnete die Tür und wartete, was geschah, denn Frederik stürmte sofort los. Waren die beiden Herren nicht erwünscht, was sich unschwer am Tonfall meiner Stimme erkennen ließ, blieb der „unschuldige“ Feu bequem auf seinem Sofa liegen und gähnte gelangweilt. Kam aber keine Schelte, da hundefreundliche Menschen im Wohnzimmer waren, kam er Sekunden später elegant hinterhergetänzelt.

Ein einziges Mal hatten sich beide „in der Wolle“. Ein Trockenblumenstrauß fiel aus der Vase und jeder wollte ihn haben. Meine Frau schlug ihn beiden „um die Ohren“ und es herrschte wieder „Burgfrieden“.

Frederik war voller Güte, alles Böse war ihm fremd. Er mochte Menschen, andere Hunde und am meisten mochte er unsere Kinder.

Auf dem Rücksitz des Fahrzeugs lag er stets zwischen den beiden, während die anderen Vierbeiner sich den Kofferraum des Kombis teilen mussten. Feu natürlich nicht, der lag im Fußraum des Beifahrersitzes auf den Füßen meiner Frau.

Frederiks absoluter Lieblingsplatz war auf dem Schoß meiner Tochter, die damals 10 Jahre alt war, obwohl nur die Hälfte des großen Kerls auf diesen passte. Wurde auf einer Ausstellung „Kind mit Hund“ angeboten (eine Veranstaltung am Rande einer Ausstellung, um mitgereiste Kinder vor Langeweile zu bewahren), waren beide dabei und gewannen. Scheinbar reichten die Arme meiner zierlichen Tochter aus oder Freddie, wie sie ihn nannte, hat sich einfach klein gemacht.

Dieser „Kuschelbär“ hatte aber auch ein zweites, ein offizielles Gesicht. Bei Ausstellungen wollte er gewinnen und er gab alles: Charme, Haltung und Power in der Bewegung. Wenn er als Sieger den Ring verließ, triumphierte er. Was die anderen nicht sahen, jetzt kassierte er die Belohnung - ein Käsebrot, das ihm meine Frau zuvor gerichtet hatte und das er sich immer abholte, auch wenn es mit dem Gewinnen mal daneben ging. Dann überspielte er die Situation und war glücklich, denn ein Käsebrot steht nur dem Sieger zu.

Im Eiltempo räumte er alle Titel ab. Sein englischer Landsmann, den es fast zeitgleich auch nach Deutschland verschlug, hatte das Nachsehen, was mir dessen Besitzer bestimmt bis heute nicht verziehen hat. Für viele ist Ausstellen alles. Wenn sie nur wüssten, wie wenig Hunde sich daraus machen, wenn dieser Stress nicht mit einem schönen Spaziergang im Grünen als Vergütung endet oder eben mit einem Käsebrot.

Er war ja zu den Richtern „ach so freundlich“, was sie in ihren Berichten stets festhielten, wahrscheinlich nur um die Prozedur schnell zu beenden, da das Käsebrot wartete. Darauf bestanden er und Feu auch bei Übernachtungen in Hotels. Am Morgen gingen wir zum Frühstück und beide blieben relaxt liegen, denn sie wussten, dass ihre Gönnerin nicht ohne zwei reichlich belegte Brötchen zurückkam.

Unvergesslich war unsere Reise nach Korsika. Schon vor der Abfahrt lag Frederik auf dem gepackten Koffer, wohl aus Angst vergessen zu werden. An der Fähre wollten wir vermeiden, dass unsere unangemeldete Hundemeute den italienischen Beamten auffiel, also baten wir die Kinder , was natürlich pädagogisch verwerflich war, über Frederik, der wie immer zwischen ihnen lag, ein großes Handtuch zu legen. So präpariert fuhren wir zur Zollabfertigung. Frederik konnte seiner sprichwörtlichen Neugierde einmal mehr nicht Herr werden und richtete sich plötzlich in seiner vollen Größe zwischen den Kindern auf. Die Zöllner waren beeindruckt: „Bello cane!“ Schmunzelnd winkten sie uns vorbei.

Und Frederik genoss dieses wilde Korsika. Diese urigen Fischer, die ihre Netze in die Fluten warfen und wenn sie einen Fisch erwischten, den Kopf sofort im Meer entsorgten, waren seine Freunde. Er sammelte die Köpfe, die das Meer an Land spülte, ein und verspeiste sie genüsslich, während unser französischer Gourmet Feu sich degustiert abwandte: „Dieser Fischfresser aus England fühlt sich an seine Kindheit erinnert“, dachte er wohl.

Die Verlockung muss sehr groß gewesen sein, so groß, dass er sogar seine Wasserscheu überwand um an die köstlichen Happen zu gelangen. Vielleicht lässt er sich auf diese Weise sogar zum Schwimmen „überreden“, dachte ich mir und versuchte es an einem kleinen ruhigen See in der Nähe. Zureden, Belohnungshappen - alles vergebens. So lange er im Wasser stehen konnte, war es gut, danach hörte für ihn der Spaß auf. In der Zwischenzeit hatten sich einige Schaulustige versammelt, die scheinbar viel Zeit hatten und mit ihren Ratschlägen sich nicht zurückhielten. Genervt schwamm ich über den kleinen See. Auf der anderen Seite angekommen, musste ich verblüfft feststellen, dass Frederik neben mir stand. Sein Vertrauen in uns Menschen war eben grenzenlos. Er schüttelte sich genüsslich und blinzelte mir zu als wollte er sagen: „Schwimmen wir zurück“, was wir problemlos auch bewältigten.

Diese Seite zeigte er auch bei der Feldprüfung. Der kleine Franzose hatte bereits bestanden, da wollte er nicht zurückstehen. Es war ein warmer Frühlingstag in Bayern. Der Richter begrüßte uns mit dem Satz: „Wenn‘s mit dem Hund jagen wollen, müssen‘s ihn zuerst scheren“ (Wenn sie mit dem Hund jagen wollen, müssen sie ihm zuerst die Haare abschneiden). Das kann ja heiter werden, dachte ich mir.

Frederik gab alles, er fegte über Spargeläcker, stand Federwild an einem Wassergraben fest vor - gut, dass das Federvieh endlich abstrich, gut, dass es den Graben gab. Der Richter war noch nicht überzeugt, dieser Hundetyp passte nicht in sein Setterbild, was mich nicht wunderte, als ich seinen Rüden aus der Leistungszucht sah. Also ging es in einen anderen Teil des Jagdreviers. Als wir aus dem Auto stiegen und die lieben Häschen nur so flitzten, begriff ich, warum wir hier gelandet waren. Eine kleine Hasenhetze und der Richter konnte in sein Jagdhorn blasen, Danke sagen und diesen für ihn so unpassenden Jagdhund mit „Nicht bestanden“ auf die Heimreise schicken.

An diesem Tag war uns das Glück aber hold. Frederik kam natürlich an seinen Hasen. Aus, dachte ich. Ich vergaß die Pfeife und brüllte nur „Frederik, lass ihn!“ Er erkannte, dass es mir ernst war, bremste ab, äugte zum Hasen, dann zu mir, dann wieder zum Hasen, entschied sich dann für mich und blieb.

Der Richter resignierte und Frederik bestand seine Prüfung. Abgekämpft warf er sich in eine Kuhtränke und wir gönnten uns ein herrliches bayerisches Bier.

Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte er im Kreis seiner Familie: Tochter Stella, die Enkel Fire und Vito und Enkeltochter Amy - wie ein alter Patriarch, voller Weisheit und Güte. Er genoss die Sonne des Südens, die Liebkosungen der Menschen und ging auf im Nichts, wie alles Reine, Wahre und Große.

Wie klein werden dabei die zänkischen Menschen, die sich anmaßen, über diese edlen Geschöpfe zu bestimmen.