Richard Didicher - 14.04.2019 - Stella

Stella - oder wunderbare Gegensätze

Geboren im Abschlussjahr des Jahrzehnts, des Jahrhunderts und des Jahrtausends, als etwas Besonderes und dennoch voller Widersprüche. Das Millennium war schon im Vorfeld Grund für diverse Zukunftsspekulationen.

Der kleine, zackige hellleuchtende Stern Stella wird in zahlreichen Familienregistern als Mutter, Oma oder Uroma aufblinken, real, selbstbewusst und trotzig.

Alles, was in der Setterwelt Rang und Namen hatte, war in ihrem Stammbaum enthalten, deutliche Gegensätze schlechthin: die großen Engländer, stolz und majestätisch und die zähen Norweger, schnelle und begnadete Vorsteher.

Stella machte zeitlebens sich und der Welt das Leben nicht einfach. Sie war eine Herausforderung für alle Wesen, die sie umgaben.

Sie wurde in bescheidenen Verhältnissen in einer Zwingeranlage in einem Hinterhof geboren. Die zweite Station ihres Lebens stand kaum unter besseren Vorzeichen. Sie lebte in einer Welt der Kontraste: Liebe und Willkür. Sie lernte schnell, dass sie allein auf sich gestellt war und eigene Wege gehen musste. Das tat sie auch. Sie streifte durch Wiesen und Wälder und nahm sich manches Reh vor, so dass ihre Besitzerin fast täglich mit dem unliebsamen Besuch des Jagdpächters rechnen konnte.

Ihr war bald klar, dass man sich behaupten müsse, wenn nötig durch Knurren. So konnte man auch der älteren Halbschwester imponieren. Sie führte das Dasein einer rebellischen missverstandenen Jugendlichen.

Doch Frauchen hatte eine „pragmatische Lösung“ parat. Eines Abends erhielt ich ein Fax (Internet gab es noch nicht!): „Ich habe mich entschieden, mich von meinen Hunden zu trennen. Nimmst Du sie bei Dir auf?“ Ich faxte zurück : „Ja“. Es folgte : „Wann?“ Ich: „Sofort.“ Eine Stunde später waren beide Hunde in Bammental.

Unsere Absicht war, passende Familien für beide zu finden.

Mit dieser Intention war Stella scheinbar gar nicht einverstanden. Alle Vermittlungsversuche scheiterten, denn Stella weigerte sich, in einer anderen Familie irgendetwas zu fressen, also musste Stella in unsere Hundefamilie integriert werden, das fiel ihr weniger schwer als uns.

Sie hatte gelernt, sich durchzusetzen und Menschen in jeder Situation zu überlisten. Sie hatte in ihrem ersten Lebensjahr die Erfahrung gemacht, dass man Menschen braucht, um satt zu werden, dass man sich ihnen in bestimmten Situationen, wenn es nicht anders ging, unterordnen muss, soziale Bindungen zu Menschen und anderen Hunden aber überflüssig sind.

Bei diesem Hund wurde mir zum ersten Mal wirklich klar, wie schlimm es ist, wenn menschlicher Kontakt in der Welpenstube nicht vorhanden ist. Noch fataler ist aber eine fehlende Erziehung eines heranwachsenden Hundes oder das Ersetzen dieser durch vermeintliche Liebe in Kombination mit Willkür.

Als sie zum ersten Mal ohne Leine im freien Feld laufen durfte, wurde unser Ausflug in das Revier unseres Freundes Kurt zum Desaster. Mit einem schrillen Hetzlaut heftete sie sich an die Fersen von Rehen und Hasen. Rebhühner und Fasanen, Elstern, Krähen und sämtliches Vogelgetier retteten sich in Richtung Himmel.

Also begann eine Ausbildung, die Stella, aber auch mir einiges abverlangte. Das Ergebnis war ein ausgebildeter Jagdhund, den ein alter Leistungsrichter „den roten Teufel im Feld“ nannte.

Ihr Vorstehen war großartig, ihr Sekundieren - diese angewölfte Eigenschaft einen vorstehenden Hund nicht zu überlaufen oder zu stören - war genial. Dies alles nur beim Training. Sie war der Vorzeigehund für die Jagdhundeausbildung par excellence. Ihre gute Nase, ihr langes Nachziehen ließ manchen Betrachter jammern: „Mein Hund schafft das nie“. Doch es waren die anderen, die die Prüfungen bestanden, denn Stella konnte genau zwischen Prüfung und Ausstellung unterscheiden. Wenn sie beim Training ihre Schokoladenseite zeigte, wurde sie bei der Prüfung zur Furie Ihr war sofort durch die äußeren Umstände klar, dass während einer Prüfung keine Gefahr bestand für Untaten zur Rechenschaft gezogen zu werden. Solche Tage kostete sie aus, bis zur bitteren Neige.

Oft war der Genuss nur sehr kurz, denn oft schon wenige Minuten, nachdem sie das vorzustehende Wild hochgemacht hatte, erklang die Tröte des Richters und das hieß anleinen.

Ihr bevorzugter Trainingspartner war der English Setter Artus, ein Sohn unserer Navajo, ein schneller Jagdhund mit einer exzellenten Nase. Beim Training waren beide eine Augenweide: Artus, da schneller, kam zuerst zum Vorstehen, Stella sekundierte sofort auf jede Entfernung. Nahm er wieder seine Suche auf, tat sie das Gleiche bis zum nächsten Vorstehen. So auch bei einer Prüfung (beide konnten als Paar laufen, da es keine weiteren Meldungen in dieser Klasse gab). Artus stand vor, Stella sekundierte, die Richter kamen heran und äußerten sich lobend über das herrliche Bild. Ich war stolz und ließ mich zu einem: „So muss es sein!“ hinreißen. Der kurze Satz war noch nicht ausgesprochen, als Artus einsprang, das Rebhuhn hochflog und beide genüsslich hetzten. Der eine Richter sprach: „So muss es sein!“ Es erklang die Tröte: „Raus!“

Scheinbar hatte sie auch einige gnädige Tage, denn sie ließ sich manchmal, ganz selten, herab, mir eine Freude zu machen und bestand mit Bravour einzelne Prüfungen, dies besonders in der Zeit als sich ihr jugendliches Temperament etwas beruhigt hatte. Vielleicht wollte sie auch nach der Geburt ihres Sohnes Fire für diesen kein negatives Vorbild sein.

Ihr Sohn war der einzige Hund, den sie wirklich mochte und zeitlebens wie einen Welpen putzte. Sie gab ihm ihr ganzes Selbstbewusstsein mit und das war nicht wenig. Zu allen anderen Rüden verhielt sie sich abweisend und zeigte sich jeweils nur einen Tag freundlich, notgedrungen, um ihre Gene der Nachwelt zu hinterlassen, was ihr bei Fire auch gelang.

Sie war wahrscheinlich der schönste Jagdhund, den die Setterwelt zu verzeichnen hatte, denn äußerlich war sie ihr englischer Vater Frederik in Miniatur, mit den feinen Zügen ihres Großvaters Feu. Gott sei Dank erbte sie von ihrer norwegischen Verwandtschaft nur die jagdlichen Eigenschaften.

Im Alter wurde sie ruhiger, sie genoss es, in den Kanälen der Camargue ein Bad zu nehmen oder in den vielen Seen ausgiebig zu schwimmen. Nur manchmal packte sie der Ehrgeiz, wenn sie Fische „springen“ sah, die sie scheinbar mit Enten verwechselte; sie verfolgte sie weit in den See und ich war stets froh, wenn sie sich endlich zur Umkehr durch lautstarkes Rufen bewegen ließ.

Auch wirkliche Enten waren für sie eine Herausforderung. Bilder von der Rückfahrt aus Frankreich, ein reißender Fluss mit einer Entenschaar und dahinter Stella, verursachen mir heute noch Alpträume (Amy stand dabei und sah mich verzweifelt an). Doch oft gibt es für alles eine Wiederholung: Vor drei Wochen die gleiche Fahrt, der gleiche Fluss, doch nicht die gleichen Hunde. Diesmal war es Jela, die als Geist ihrer Urgroßmutter die Enten jagte und Bisou, die verblüfft wie ihre Urgroßmutter Amy zusah.

Stella liebte ganz besonders die warme Sonne der Camargue, ihr war es nie zu heiß und sie versuchte bereits im Januar im warmen Sand ein Bad zu nehmen, dies auch noch, als sie vom Alter gezeichnet uns auf unseren Strandspaziergänge begleitete.

Stella mit 14 Jahren

Das letzte traurige Kapitel des Lebens unsere Hunde hinterlässt tiefe traurige Einschnitte voller Fragen, die einem nie jemand wird beantworten können. War die Entscheidung richtig, haben wir alles uns Mögliche getan?

Es lässt mich auch nachdenken über die Vergänglichkeit eines kraftvollen unbeschwerten Seins.

P.S.: Ich bewundere in dieser Hinsicht meine Frau die die schönen Stunden mit unseren Hunden weggeschlossen hat wie Juwelen, die man von Zeit zu Zeit ansehen kann um sich darüber freuen. Sie ist besonders im Alter für unsere Hunde da, dann, wenn sie uns am meisten brauchen.