Richard Didicher - 12.05.2019 - Wulfi, der kleine Wolf zum Blumenpflücken

Im Jahr 2004 sind in Europa Fürstenhochzeiten in.

Wir haben für unsere Setterdamen einen Kronprinz in Holland gefunden, eher in Anlehnung an die königlichen Verpaarungssitten des Mittelalters.

Die modernen Aristokratie ist heute vom Prinzip der Genpoolerweiterung - oder nennen wir es Liebe- beseelt und das ist gut so; und war auch dringend nötig.

Er sollte so werden, wie alle Red Loves, ein Familienhund, der in seinem Wesen die Ursprünge des Setters erkennen lässt. Wir müssen die Tradition in unseren Hunden bewahren: ein schöner Vorstehhund, nicht mehr und nicht weniger.

Schön war Wulfi, mit den jagdlichen Anlagen sah es weniger rosig aus. Wir hatten sogar, in der Hoffnung in ihm die „Feldtugenden“ der Red Loves wiederzufinden, natürlich mit Zustimmung des Züchters, diesen Namen mit in seinen Stammbaum eingeschmuggelt: Red Suits You Are Red Love. Alles vergebens. Als Junghund war sein Interesse mäßig, im Alter war seine Jagdleidenschaft gleich Null, daher auch der bösartige Kommentar aus unserem damaligen Umfeld: „Wulfi will lieber Blumen pflücken.“ Leider stimmte es.

Dabei sollte er ein „Wulf“ (ein echter Rüde, ein Wolf) werden, wie ein erfahrener niederländischer Züchter mir versicherte. Wulfi kam, wie später auch unsere Bea, aus den Niederlanden. Vor manchen deutsch- holländischen Fußballspielen mussten beide zum Spaß in einem orangefarbenen T-Shirt posieren. Natürlich schickten wir die Fotos per Mail an unsere Bekannten in den Niederlanden.

Wulfi wuchs in einer heilen Welt auf, in einem kleinen Ort an der Nordsee. Freundlichkeit, Gastfreundschaft und grenzenlose Liebe für diese Rasse zeichnen seine Züchter aus.

Nachdem wir aus den Fotos, die man uns, als die Welpen geboren waren, per Mail schickte, nicht schlau wurden, traten wir die Reise nach Holland an, elektrisiert von diesem herrlichen Stammbaum, der so gut in unsere Zuchtlinie passte.

Wir waren überrascht am Tag unserer Ankunft fast das gesamte Züchtergremium der Niederlande vorzufinden. Bar- Tische wurden aufgestellt, jeder Anwesende erhielt einen Stift und einen Schreibblock und sollte die Welpen beurteilen. „Nimm diesen, der wird ein richtiger „Wulf“, raunte mir ein freundlicher Mann mit Hut zu, dabei meinte er „Rüde“. Vorauf meine Frau antwortete: „Na, im Moment ist wohl eher noch ein Wulfi“. So kam er zu seinem Rufnamen.

Meine Frau und ich, beide auch nicht ohne Erfahrung in der Beurteilung von Welpen, waren beeindruckt, kamen aber zum gleichen Entschluss wie der wohlwollende Herr.

Der Wahrheit halber muss gesagt werden, dass Wulfi von den Anwesenden auf Platz zwei, was das auch immer heißen mochte, eingestuft wurde. Wir sahen die vermeintliche Nummer Eins des Öfteren in den folgenden Jahren und ich war über unsere Entscheidung glücklich.

Da es in dem kleinen Ort kein Hotel, gab verbrachten wir die Nacht in einem Gästezimmer auf einem Bauernhof mit einem Teich mit Gänse- und Entengeschnatter. An Schlaf war nicht zu denken, denn durch die Straßenbeleuchtung waren die Tierchen auch nachtaktiv. Mitten in der Nacht tat meine Frau dann ihren Wunsch nach Entenbratenam nächsten Wochenende kund.

Wulfi verschlief im Auto die Einreise in Deutschland auf dem Schoß meiner Frau. Zu Hause wurde er von Fire ziemlich ungnädig empfangen. Er gewöhnte sich schnell an Fires rauhen Ton,die deutsche Luft und das deutsche Futter.

Die Ausstellungsrichter hatten an Wulfi „einen Narren gefressen“, er gewann und gewann und die Konkurrenz ärgerte sich.

Und dann kam der große Tag: Wulfi auf der Europasiegerschau! Unsere Chancen waren gleich Null. Ich war müde, die Fahrt war anstrengend. Alles, was Rang und Namen hatte war vertreten.

Unsere Fangemeinde bestand aus einem befreundeten Ehepaar und Wulfis Züchter, die aus Holland anreisten, um das Spektakel mit zu verfolgen. Die restlichen Aussteller konnten wesentlich mehr aufbieten.

Was unsere Chance wesentlich herabsetzte, war die Präsenz eines aufgehenden Sterns aus England. Eine exaltierte Möchtegern-Züchterin verkündete uns aufgeregt dessen Anwesenheit: „Der ist mit Stulpen für die Beine und mit Ohrschützer ausgestattet, damit die Haare nicht in Unordnung kommen!“

Ich sah mir dezent die Konkurrenz an und meine Begeisterung hielt sich in Grenzen: Haare, Haare und nichts darunter.

Wir betraten den Ring, Wulfi gewann seine Klasse und ich dachte mir: „Wenigstens ist unsere Ehre gerettet.“ Und dann kam der Augenblick des Aufeinandertreffens. Die Stulpen und restlichen Accessoires hatte der Star abgelegt und steppte durch den Ring. Die forsche Richterin überlegte nicht lange und entschied sich für Wulfi, den kleinen niederländischen Wolf.

Ich muss gestehen, dass es auch für uns etwas Besonderes war, doch Wulfis Züchter war einer Ohnmacht nahe .Mit tonloser Stimme sagte er: „Das ist einer der schönsten Tage in meinem Leben“ und verschwand.

Als er wieder kam, bot ich ihm an, Wulfi im Ehrenring vorzuführen. Überrascht und stolz nahm er mein Angebot an und ich hatte die Möglichkeit, diesen ruhigen Hund durch den Ring „fliegen“ zu sehen, stolz wie ein König.

Heute erscheint mir diese damalige Hysterie ganz schön übertrieben. Der wirkliche Wert eines Hundes liegt in seinem Wesen; es ist das, was ihn zu unserem Partner im Alltag macht.

Wulfi war durch seine ruhige Art als Rüde begehrt, durch seinen Charme gelang es ihm, ohne großes Theater die Hündinnen zu überzeugen.

Sein Glanzstück waren unsere F-chen (=F- Wurf),wie eine Bekannte zu sagen pflegt. Als Enkelkinder von Fire (mütterlicherseits) führen sie den Namen ihres Großvaters mit.

Alle jagdlichen Tugenden, die sich bei Wulfi so zurückhielten, sprudeln aus manchen seiner Kinder hervor. Firefenja, diese Hündin voller Eleganz, die allein schon mich zu dem Ausspruch verleiten kann „Mehr geht nicht!“, ist nur eines von vielen seiner Kinder mit perfekten Anlagen.

Ab zehn setzen ihm Krankheiten zu, sein Gesicht war weiß, wie das eines alten klugen Mannes.

Von seiner Couch überblickte er das Wohnzimmer und war dankbar für jedes gute Wort und jede Streicheleinheit, die ihm reichlich zu Teil wurden, bis er die Augen schloss.