27.07.2019

Richard Didicher: Zwei Setter auf der Suche nach den Kinderhänden  (Teil 1)

In der englischen Stadt Matlock, in einem roten Backsteinhaus mit kleinem Vorgarten, stand in einem Raum neben der Küche eine große Holzkiste mit acht neugeborenen rotbraunen Setterwelpen. Sie lagen wie an einer Schnur aufgereiht am Gesäuge der Mutter. Ihr Quieken war durch das ganze Haus zu hören. Die von der Geburt erschöpfte Hündin schleckte sie alle der Reihe nach ab, so als wollte sie jedes Mal bis acht zählen. Zwischendurch schloss sie die Augen, um sich von der anstrengenden Nacht etwas zu erholen.

Der kleinen Rachel war diese Geräuschkulisse nicht fremd, sie vernahm durch die halbgeöffnete Tür des Kinderzimmers die frohe Botschaft.

„Welpen“ rief sie, denn es war nicht der erste Wurf, der hier geboren wurde.

Sie schnappte sich ihren Bademantel, denn es war in einem schlecht beheizten englischen Cottage morgens kalt, sie lief die Holztreppe hinunter und kniete vor der Welpenkiste.

Für ihren Morgengruß, den sie als Streicheleinheiten an die erwachsenen Hunde, die im Flur schliefen, vergab, hatte sie keine Zeit. „Ihr müsst heute warten“, sagte sie im Vorbeilaufen.

Ihre Hand strich zärtlich über die Bäuche der Kleinen, die emsig versuchten, sich den besten Platz an einer Zitze der Mutter zu ergattern.

Bei einem kleinen Rüden mit einem herzförmigen weißen Brustfleck hielt sie inne und rief: “Mom, das ist er, das ist Lovebird, so werde ich ihn nennen.“

Und plötzlich vergaß auch der Kleine das Trinken und schmiegte sich fest an die warme Kinderhand, er hob sein kleines Köpfchen in Richtung Rachel und obwohl seine Augen noch geschlossen waren und er nichts sehen konnte, wusste er scheinbar um ihre Zuneigung.

Die Mutter, für die die Welpenaufzucht ein Zubrot war, da sie ihren Job verloren hatte, versuchte Rachels Euphorie zu dämpfen: „Lass uns abwarten, wie er sich entwickelt, wir werden den Schönsten aussuchen, jetzt sehen sie doch alle gleich aus. Du willst doch auch, dass er ein ‚Sieger‘ wird.“

Rachel entgegnete etwas trotzig: „ Meine Entscheidung steht fest.“

Zwei Tage später war eine kleine rote Hündin auf einem irischen Landsitz in der Nähe von Kildare, der auch schon bessere Tage gesehen hatte und die jetzt in eine Hundezucht umfunktioniert wurde, in einem Holzschuppen dabei eine Kuhle zu graben.

Sie war hochtragend und hatte das Bedürfnis sich zurückzuziehen, da die Vielzahl der Jagdhunde verschiedener Schläge, die sich auf dem Anwesen tummelten und an ihr rochen, sie nervten.

Wurfkisten gab es hier nicht, denn der Besitzer, ein korpulenter Mann mit Barbourjacke und Gummistiefeln und einer karierten Mütze wie ein echter Lord, legte Wert auf „Naturaufzucht“, was bedeutet, dass die Tiere sich selbst überlassen waren und ihnen nur das Nötigste an Nahrung zukam.

Eine Bedienstete, eine junge Frau aus der Nachbarschaft, die für die Fütterung der über achtzig Hunde zuständig war, beobachtete die Vorbereitungen der kleinen roten Hündin und warf ihr ein Bündel Stroh in die Wurfkuhle.

Am Tag danach lagen sechs kleine Knäuel, die meisten rot-weiß gefleckt in dem Erdnest.

Die kleine Tochter der Nachbarin, Bridget, die ihrer Mutter manchmal beim Füttern der Hunde zusah, hörte das Quieken aus dem Schuppen, folgte den hungrigen Rufen der Kleinen und war überwältigt, als sie die „wuselige“ Grube in der Ecke des Schuppens sah. Sie kniete nieder und legte einen kleinen Rüden, der sich zu weit von der Mutter entfernt hatte, wieder zurück in das Nest. Es war der einzige, der nur einen kleinen weißen kreisförmigen Brustfleck hatte. Sein Fell hatte die Farbe von noch nicht ganz reifen roten Kirschen.

Als sie den Kleinen loslassen wollte, schmiegte er sich an ihre Hand und fiepte erschrocken.

„Wenn ich nur könnte, wie ich wollte“, sagte Bridget, „ich würde dich mitnehmen und du dürftest auf einer Decke in meinem Zimmer schlafen, aber du brauchst die Milch deiner Mutter, sonst stirbst du. Aber ich werde dich täglich besuchen, du kleiner Charles“. Ihr fiel dieser Name gerade so ein, da am Abend davor im Fernseher ein Bericht über den freundlichen englischen Thronfolger mit den Flatterohren kam.

Lovebird und seine Geschwister entwickelten sich prächtig. Rachel half mit, wenn ihre Mutter den Welpen zusätzlich Fläschchen mit Milch zubereitete, da die Milch der Hündin nicht mehr ausreichte, um die hungrigen Rabauken satt zu bekommen. Rachel legte den kleinen Lovebird auf ihrem Schoß auf den Rücken und schob ihm den Schnuller in den zahnlosen Mund. Der Kleine zog kräftig und strampelte mit den Vorderbeinchen im Takt - und das dreimal täglich.

Als er fast zwei Wochen alt war und er wieder an seinem Fläschchen sog, sah Rachel, dass sich seine Augen leicht öffneten. Sein erster Blick galt ihr. Darauf war sie sehr stolz.

Auch Bridget lief am nächsten Tag, als sie aus der Schule kam und ihre Mutter dabei war, Trockenfutter in die zahlreichen Näpfe zu verteilen, in den Schuppen. Sie hatte ein Bündel frisches Stroh unter dem Arm, um den Kleinen das Nest neu auszupolstern.

Ihr Schreck war groß, als sie aber nur noch vier Welpen sah. Schnell suchte sie nach Charlie. Sie war glücklich, als sie feststellte, dass er unter den vier quirligen Hundebabys war und überglücklich, als er sofort ihre Hand suchte.

Ihre Mutter war nicht sehr überrascht, als ihr Bridget sagte, dass es nur noch vier Kleine gab.

„Mr. Mc Donnel meint, dass das bei einer Naturaufzucht normal sei“, versuchte sie ihrer Tochter zu erklären.

„Sie sind jetzt im Hundehimmel“ ergänzte sie, um die Kleine zu beruhigen. „Vielleicht besser als hier“, murmelte sie vor sich hin.

Zwei Wochen später öffnete auch Charlie seine Augen und den ersten Menschen, den er zu Gesicht bekam, war natürlich Bridget.

Mc Donnel, der zwar das Fiepen der Welpen vernahm, sie aber keines Blickes würdigte, pflegte zu sagen: „Wenn sie laufen können, werden sie sich schon zeigen.“

Fortsetzung hier am nächsten Wochenende.

Nächste Folge bereits heute unter: https://tieremenschengeschichten.de.tl