17.08..2019

Richard Didicher: Zwei Setter auf der Suche nach den Kinderhänden  (Teil 4)

Fortsetzung

Für Lovebird schien sich eine Wendung anzubahnen. Eines Morgens wurde er aus dem Zwinger genommen, aus seinem Haar die verfilzten Knoten herausgeschnitten, er wurde zum ersten Mal sogar abgeduscht und gekämmt.

Herr Hüpfer legte ihm eine Leine um, das tat Rachel genauso, wenn sie mit ihm kurze Spaziergänge am Flussufer machte. Oft waren auch die anderen erwachsenen Hunde und Rachels Mutter dabei. Plötzlich wurden seine Erinnerungen wieder wach und er freute sich.

Doch sein Glücksgefühl legte sich schnell, es ging nur im Kreis herum im gepflasterten Hof. Und dann kam wieder die Tortur: Kopf hoch, Zähne zeigen und das unangenehme Gefummel zwischen den Beinen. Aber am Ende gab es zu seiner Überraschung ein Stückchen Käse als Belohnung.

Jetzt war er total verwirrt und wusste nicht, was er davon halten sollte.

Den Sinn dieser Prozedur verstand er erst einen Tag später: In einer großen Ausstellungshalle in der nahen Großstadt musste er das Gleiche noch mal über sich ergehen lassen. Diesmal nur durch eine Frau, die er nicht kannte, die ihm aber freundlich über den Kopf strich. Das mochte er.

Den Rest des Tages verbrachte er in einer Drahtbox. Er sah das rege Treiben um sich herum und wusste nicht, was er davon halten sollte.

Am folgenden Abend kehrte der Alltag zurück. Nur die beiden Halbstarken im Zwinger beschnupperten ihn ausgiebig und glotzten komisch, da er so fremd roch. Doch auch das ging vorbei.

Auch für Charlie gab es Abwechslung.

Eines Morgens packte ihn Herr Grunz in den Kofferraum seines Autos und fuhr los. Etwas später hielt er an einer Wiese, die an ein großes, grünes Weizenfeld grenzte. Es war Frühling, die Obstbäume blühten und die Wiese war von Tausenden gelben Löwenzahnblüten übersät. Als der Mann den Kofferraum öffnete und Charlie das alles sah, traute er seinen Augen nicht. Welch eine herrliche Welt. Er hatte eine Flinte auf dem Rücken. Diese kannte Charlie von dem alten McDonnel, der, wenn er zu viel Whisky getrunken hatte, auf seinem Anwesen ordentlich herumballerte.

Er ließ Charlie von der Leine und rief: “Such den Fasan!“

Dieser sah die herrlichen Felder vor sich und legte los. Er rannte kreuz und quer. Er machte einige Feldlerchen hoch, die ihren Balzgesang unterbrachen und das Weite suchten, er kam an einen Hasen mit welchem er ein Wettrennen veranstaltete.

Die schrillen Pfiffe seines Besitzers vernahm er zwar, doch sie interessierten ihn wenig. Das war das wahre Leben.

Nach einer halben Stunde ließ er sich einfangen, legte sich auf das feuchte Gras und hechelte, was das Zeug hielt. Sein Besitzer schäumte vor Wut.

„Irischer Bastard, das wird Folgen haben“, rief er.

Herr Grunz zog ihn an sich heran, wechselte das Halsband und leinte ihn wieder ab.

Charlie freute sich, scheinbar war sein Ausflug gar nicht so verkehrt. Er lief wieder los, um eine neue Runde zu drehen. Ein schriller Pfiff zerriss die Stille. Im gleichen Augenblick verspürte er einen stechenden Schmerz, der wie ein Blitz in seinen Nacken fuhr.

Er drehte um, rannte zum Fahrzeug und vergrub sich unter der Stoßstange. Herr Grunz lachte hämisch. Er zog Charlie hervor, nahm ihm das Elektrohalsband ab, öffnete den Kofferraum und Charlie verschwand blitzschnell im Auto. Er kauerte sich in eine Ecke und zitterte. Herr Grunz lachte und sagte nur: “Übermut tut selten gut. Ich hoffe, es war dir eine Lehre.“ Sie fuhren wieder nach Hause und Charlie verkroch sich den ganzen Tag in der ehemaligen Kindertoilette.

Monate vergingen und Charlie und Lovebird hatten ihre Ruhe, das heißt, man beachtete sie nicht, aber auch sie ignorierten ihr Umfeld.

Nur manchmal, wenn Lovebird die warme Sonne durch die Gitterstäbe aufs Fell schien, zog er leicht die Lefzen hoch und winselte, so als würde er träumen, einen Traum von einem englischen Garten und einem Mädchen mit weichen, warmen Händen.

An warmen Tagen, wenn alles still war, schnappte sich Charlie eine alte Decke, die herumlag, rollte sich in sie hinein und träumte, dass es Bridgets Schoß wäre und aus seiner Kehle kam ein heiseres Gejaule.

Und dann kam der Tag, der alles ändern sollte.

Fortsetzung hier am nächsten Wochenende.

Nächste Folge bereits heute unter: https://tieremenschengeschichten.de.tl