25.08..2019

Richard Didicher: Zwei Setter auf der Suche nach den Kinderhänden  (Teil 5)

Fortsetzung

Auf einer gemähten Wiese stand eine Vielzahl von Fahrzeugen mit teils geöffnetem Kofferraum und aus jeder Box äugten neugierige rote Setterköpfe.

Aufgeregte Menschen rannten mit ihren angeleinten Hunden umher, andere hielten Schreibblöcke in der Hand und taten sehr wichtig. Auch Kinder waren dabei.

Für Lovebird war das alles zu viel. Er beschloss, das Auto nicht zu verlassen, was Herrn Hüpfer in Rage brachte. Dieser musste aber Haltung bewahren. Als er sich aber unbeobachtet fühlte, zog er Lovebird mit einem jähen Ruck aus dem Kofferraum.

Im gleichen Augenblick öffnete sich auch die Tür des Lieferwagens und Charlie blinzelte in die Sonne.

Und plötzlich trafen sich die Blicke beider. Spekulationen, warum und ob sie sich nach Monaten überhaupt erkannten, wollen wir nicht nachgehen. Die Intelligenz, die Intuition, aber auch das Erinnerungsvermögen dieser herrlichen Geschöpfe haben mich so oft schon verblüfft.

Beide waren froh sich wieder gefunden zu haben, obwohl sie sich aus diesem Treiben hier keinen Reim machen konnten.

Sie konnten nicht wissen, dass hier eine sogenannte Zuchtauswahl stattfand, was sie aber auch nicht interessiert hätte, wenn sie deren Sinn verstanden hätten.

Lovebird sah nur, dass in einer Abgrenzung Hunde im Kreis herum geführt wurden und er erinnerte sich an das Geschehen in der Ausstellungshalle und das unangenehme Abtasten, das er über sich ergehen lassen musste. Charlie sah die grünen Wiesen, erinnerte sich an den Schmerz an der Kehle durch den Elektroschock und versuchte sein Halsband abzuschütteln. Der Schreck seines ersten „Ausflugs“ in die Freiheit saß ihm immer noch in den Gliedern.

Sie drückten sich aneinander und waren nicht zum Weiterlaufen zu bewegen.

Herr Grunz und Herr Hüpfer erkannten die für sie peinliche Situation. Ängstliche Hunde und das in der Öffentlichkeit! Die beiden „Saubermänner“ fürchteten um ihren angeblich guten Ruf, und beschlossen die beiden an den Fahrzeugen angeleint zurück zu lassen und sich zuerst mal eine Tasse Kaffee zu gönnen.

„Die beiden haben sich scheinbar erkannt“, stellten sie laut fest und schon war die Wiedersehensfreude für ungebetene Beobachter die Erklärung für die Angst der beiden Hunde.

Und wer sie hören wollte, bekam eine Geschichte über das Zusammentreffen zweier Welpen zum Besten, bei deren Ausschmückung sich beide „Lügenbarone“ übertrafen.

Ein kleines Mädchen riss sich plötzlich von der Hand ihrer Mutter los und rannte auf die beiden zu.

„Sieh mal Mama, wie traurig die beiden sind“, sie strich beiden sanft über den Rücken. Lovebird zog die Lefzen hoch und grinste und Charlie verfiel in ein tiefes Grunzen. Ein herrliches Glücksgefühl machte sich in beiden breit und für Augenblicke hatten sie die Welt um sich vergessen.

Mit viel Überredungskunst gelang es der Mutter, ihre Tochter zum Weitergehen zu bewegen.

Lovebird und Charlie blieben zurück, etwas traurig, aber mit der Ahnung, dass die Güte aus der Hand eines Kindes nicht versiegt ist. Aneinandergeschmiegt dösten sie vor sich hin.

Ein plötzlicher heller und lauter Knall durchbrach die Stille. Eine dickliche, etwas wirr blickende Frau hatte wenige Meter von den beiden im Verlauf einer sogenannten Wesensüberprüfung mit einer Schreckschusspistole in die Luft geschossen.

Angst, Entsetzen und Panik ließen Lovebird hochfahren und sein Fluchtreflex löste eine ungeahnte Kraft in seinem Körper aus. Mit einem Ruck zerfetzte er die Lederleine und suchte das Weite.

Charlie, der diese Geräusche zwar aus frühester Jugend kannte, tat dennoch das Gleiche. Ohne ihn wäre Lovebird, dem sogar das Gras unter den Pfoten fremd war, verloren.

Sie liefen, was das Zeug hielt und der leichtfüßige Charlie war überrascht über die entfesselten Kräfte in Lovebirds Beinen. Und sie rannten und rannten und wenn Charlie merkte, dass sein Freund Schlapp machen könnte, schubste er ihn mit seiner Schnauze an, denn er wusste jetzt gibt es kein Zurück mehr, denn die Folgen für beide wären bestimmt furchtbar.

Um sie herum war alles grün. Sie genossen dieses reizvolle Unbekannte.

Wären sie Menschen gewesen, hätten sie gewusst, dass sie Deutschland bereits verlassen hatten und im Elsass unterwegs waren. Doch das alles war für die beiden nicht wichtig. Hauptsache, dass sie endlich frei waren und sie genossen die Freiheit in vollen Zügen.

Plötzlich tat sich vor ihnen eine breite Straße auf, die in Bewegung war. Als sie näher kamen, merkten sie, dass diese aus Wasser bestand, das friedlich vor sich hin floss (die Ill). So etwas hatten sie noch nie gesehen. Man hatte ihnen bis jetzt die Natur vorenthalten, jetzt waren sie dabei, diese vorsichtig zu entdecken. Sie näherten sich vorsichtig dem feuchten Element und waren hocherfreut, dass sie ihren Durst stillen konnten. Charlie war mutiger, er tastete zuerst mit den Vorderbeinen das Unbekannte ab und wagte sich dann immer tiefer in das Wasser hinein. Als er nicht mehr stehen konnte, begann er zu paddeln, seine Beine führten rhythmische Bewegungen aus, er schwamm. Lovebird versuchte es ihm nachzumachen, er traute sich aber nur bis zum Bauch ins Wasser und war auch durch Charlies übermütiges Gebelle nicht dazu zu bewegen, diesem zu folgen.

Völlig übermüdet und mit knurrendem Magen legten sie sich in das hohe Gras und Charlie schlief sofort ein. Lovebird war zu aufgeregt, um zu schlafen. Er lag lange wach und lauschte dem Gesang der Nachtigallen aus dem nahen Gestrüpp und blinzelte den Sternen zu. Er schlief spät ein und wahrscheinlich träumte er von den weichen Händen der kleinen Rachel aus Matlock.

Fortsetzung hier am nächsten Wochenende.

Nächste Folge bereits heute unter: https://tieremenschengeschichten.de.tl