31.08.2019

Richard Didicher: Zwei Setter auf der Suche nach den Kinderhänden  (Teil 6)

Fortsetzung

Als er am Morgen wach wurde, kam ihm Charlie mit einem toten Kaninchen im Fang entgegen.

Er hatte sich das Jagen an Mäusen und Ratten auf dem verwilderten Schulhof aus Langeweile selbst beigebracht. Lovebird, der zeitlebens nur Fertigfutter kannte, schien sich vor dem Kaninchenfleisch zu ekeln. Da er aber einen Bärenhunger hatte, leckte er vorsichtig an einer Keule. Er musste feststellen, dass ihm bis jetzt scheinbar einiges entgangen war und er schlug zu. Charlie war zufrieden und nach dem ausgiebigen Frühstück dösten sie noch ein Stündchen in der Sonne, dann brachen sie auf.

Sie liefen den ganzen Tag. Charlie war keine Müdigkeit anzumerken. Seinem kleinen drahtigen Körper schienen diese Strapazen nichts auszumachen. Lovebird war bereits am Nachmittag so erschöpft, so dass sie beschlossen, in der Nähe eines Sees Rast einzulegen. Lovebird kühlte sich seine wundgelaufenen Pfoten im Wasser und er verkroch sich im Gebüsch, um etwas zu schlafen.

Charlie aber tänzelte umher und hob ständig seine Nase in den Wind. Ein Duft, der aus der Ferne kam und den er kannte, aber nicht zuordnen konnte, hatte es ihm angetan. Er ließ Lovebird weiter schlafen und „arbeitete“ sich dem Duft entgegen.

Hinter einem Wäldchen stieß er auf einen Campingplatz und er sah viele muntere Menschen, die dabei waren, den Grill für den Abend vorzubereiten. Jetzt konnte er den wunderbaren Duft einordnen. Neben dem verlassenen Schulgelände gab es eine heruntergekommene Gaststätte, die den gleichen Geruch ausströmte und manchmal kippte eine der Kellnerinnen, die mit den Hunden Mitleid hatte, eine Ladung gebratenes halb verdorbenes Fleisch und Knochen über den Zaun. Es kam dann unter den Hunden zu einem furchtbaren Gerangel, doch Charlie gelang es stets, einen ordentlichen Happen zu erwischen.

Also schlich er sich jetzt an den Campingplatz heran. Er war gerade dabei nach einer Stelle im Zaun zu suchen, denn der Geruch hatte es ihm angetan, als er auf eine Kinderschar stieß, die außerhalb des Platzes schreiend einem runden Gegenstand hinterher rannte.

Nur ein kleines Mädchen mit roten Haaren und Sommersprossen saß still und nachdenklich im hohen Gras. Sein Herz begann heftig zu klopfen und alle Erinnerungen an Bridget waren wieder da.

Das Mädchen bemerkte auch ihn und rief ihm etwas in einer Sprache, die er noch nie gehört hatte, zu. Sie lächelte freundlich und Charlie robbte auf dem Bauch langsam auf sie zu. Er legte sich still neben sie und sie strich ihm sanft über den Kopf. Am Geruch ihrer Hand erkannte er, dass es nicht Bridget war, aber es war wunderbar. Er hatte den Duft der Grillwürste vergessen, er hatte die ganze Welt vergessen, sogar Lovebird. Er dachte „sich nur nicht bewegen, dann wird dieser Augenblick nie zu Ende gehen“.

Das Ende kam durch die schrille Stimme einer Frau, die plötzlich vor ihnen stand und das Mädchen anfuhr: „Kannst du nicht wenigstens den Tisch decken, schon wieder hast du einen Köter gefunden, der ist bestimmt voller Flöhe. Wie oft habe ich dir gesagt, dass man keine Hunde anfasst.“

Das Mädchen erhob sich, sah noch einmal zu Charlie hinunter, und folgte traurig ihrer Mutter.

Dieser sah ihr nach und blieb noch etwas liegen, er konnte sich nicht so plötzlich aus seinem Traum reißen.

Später schlich er zu Lovebird und sie kehrten zum Campingplatz zurück. Als die Menschen sich zu später Stunde in ihre Wohnwägen verzogen hatten, räumten sie im Nu die Reste von sämtlichen Grills und anschließend verzogen sie sich müde ins Gebüsch am See.

Als Charlie wach wurde, war Lovebird schon dabei seinen Durst zu stillen, das gewürzte Fleisch, das er nicht kannte, war scheinbar zu viel des Guten.

Mit der Sonne zogen sie weiter. Ohne zu wissen, überquerten sie das Dreiländereck und sie waren in der Schweiz. Wenn sie ein Schild mit einem rot umrandeten Schäferhundekopf sahen, zogen sie zügig weiter. Ihr Gefühl sagte ihnen, dass es so besser wäre.

Sie lebten in den Tag hinein. Von Zeit zu Zeit erwischte Charlie wieder mal ein Kaninchen oder sie trafen in kleinen Dörfern auf spielende Kinder, manchmal sogar im Schulhof, die ihr Pausenbrot mit ihnen teilten. Nach einiger Zeit kannten sie schon das Klingelzeichen der Schulglocken und waren pünktlich zur Stelle. Denn neben Käsebrot gab es häufig auch Schmuseportionen. Die kleinen Kinderhände hatten es ihnen angetan. Die meisten Lehrer störte das nicht, es gab natürlich auch welche, die sie verscheuchten. Dann zogen sie einfach weiter.

Fortsetzung folgt