07.09.2019

Richard Didicher: Zwei Setter auf der Suche nach den Kinderhänden  

Als sie eines Morgens unsanft durch das Motorengeratter eines Traktors geweckt wurden und sie ihre Reise fortsetzten, blieben sie nach einiger Zeit plötzlich beide wie angewurzelt stehen. Von weitem klang ihnen ein vertrautes Gebelle entgegen. Das waren Setterstimmen, wie sie sie von eh und je kannten. Sie pirschten sich langsam an einen Bauernhof heran und hofften nicht entdeckt zu werden.

Zu spät, denn über dem Lattenzaun räkelten sich mehr als ein Dutzend Setterköpfe, die mit einem freudigen Gebell ihre Artgenossen begrüßten.

Eine Frau öffnete die Eingangstür und schimpfte mit ihren Hunden: „Habt ihr mal wieder die verwilderte Katze im Visier, der ich eine Schale Milch vor das Tor gestellt habe, sie hat eben auch Hunger…“ Als sie Charlie und Lovebird sah, unterbrach sie ihre Moralpredigt und rief: „Ihr seht aber sehr mitgenommen aus, wo kommt ihr denn her? Herein mit euch!“

Sie öffnete das Tor und die beiden Halbstarken schoben sich durch die Schar neugieriger Hunde, die wie ein Empfangskomitee Spalier standen. Die beiden wurden von allen beschnuppert, was besonders Charlie etwas nervte. Als die Frau ihnen aber eine Schüssel mit Wasser brachte, stürzten sie sich darauf. Die gewürzten Würstchen, die sie vom Grill geräumt hatten, lagen ihnen immer noch im Magen. Die anderen hatten ihre Neugier befriedigt und ließen von ihnen ab. Nachdem sie ausgiebig getrunken hatten, suchten sie sich einen schattigen Platz in der Scheune und schliefen zuerst mal eine Runde.

Sie wurden aber von dem Blöken einiger neugieriger Schafe, die um sie herum standen unsanft geweckt. Charlie kläffte sie sofort an, da er diese Wesen nicht kannte, Lovebird beruhigte ihn aber, er wusste, dass sie harmlos sind, da er ihnen als Welpe auf Rachels Arm auf den Wiesen von Matlock beim Grasen zusah.

An diesem Abend machten sie noch die Bekanntschaft anderer Tiere, die auf dem Bauernhof lebten.

Da war ein aufgescheuchter Hahn mit seinen acht Hennen, die sich wohlweislich vor Charlie in Sicherheit brachten, zwei Rinder mit langen Hörnern, die die beiden Ankömmlinge respektvoll musterten und die drei Katzen, die frech fauchten, wenn die Neuen ihnen zu nahe kamen.

Die Frau, die ihnen das Tor geöffnet hatte, verfolgte vom offenen Fenster amüsiert das Schauspiel. Später kam sie mit einem Kamm und einer Bürste und säuberte beiden das Fell von den lästigen Kletten und Gräsern. Besonders Charlie, der so etwas nicht kannte, musste die Frau gut zureden. Die warme Hand, die von Zeit zu Zeit über seinen Kopf strich, entschädigte ihn für die unangenehme Prozedur.

Lovebird wurde zwar von Herrn Hüpfer vor Ausstellungen mit Schere und Kamm „zurecht gemacht“, und das war wahrlich nicht angenehm, so dass er jetzt die Handgriffe der Frau als Wohltat empfand.

Der wahre Grund für seine stoische Ruhe war aber eine junge Setterhündin, Feja, die stets seine Nähe suchte und die das Geschehen beobachtete. Sie nahm jede Gelegenheit wahr, um sich in Lovebirds Nähe aufzuhalten.

Während Lovebird zurechtgemacht wurde, beobachtete Charlie unentwegt den alten Setterrüden, der scheinbar von den Ankömmlingen nicht begeistert war und Konkurrenz „witterte“, womit er Recht haben sollte.

Charlie hatte solche Rivalitäten auf dem alten Schulgelände oft erlebt und gelernt, sich in Zurückhaltung zu „ üben“, denn Kämpfe zwischen zwei eifersüchtigen Rüden enden fast immer blutig.

Heute waren seine Befürchtungen aber unbegründet, denn die Frau verstand es, durch Zureden den alten Kerl zu beruhigen. „Sicher ist sicher“, dachte sie aber dennoch und nahm ihn mit ins Haus.

Als ihr Mann am Mittag aus Zürich zurückkam und den „Zuwachs“ sah, schien er nicht überrascht, er strich den beiden sanft über den Kopf und sagte: „Gut, dass ihr bei Ursula gelandet seid, ihr werdet es gut bei uns haben.“ Anschließend verschwand er wieder in seinem Agrarlabor, das in einem Teil des stattlichen Bauernhofs untergebracht war.

Am folgenden Wochenende kam die Enkeltochter Hella aus der Stadt zu Besuch. Es war für sie selbstverständlich bei der Pflege der Tiere mitzuhelfen. Sie entdeckte die beiden Neuen sofort und widmete ihnen ihre ganze Aufmerksamkeit. Lovebird genoss diese Zuwendung in vollen Zügen. Er versuchte immer wieder auf ihren Schoß zu klettern, wie er es als Welpe bei Rachel getan hatte.

Auch Charlie wollte etwas von Hellas Gunst abbekommen. Er drückte seinen Kopf ganz fest an das Mädchen. Als es ihm nicht gelang, Lovebird zu verdrängen, legte er sich einfach auf Hellas Füße. Es dauerte nicht lange und er schlief ein.

Ursula und ihr Mann amüsierten sich über das Spektakel und letztendlich befreiten sie Hella von der Belagerung der beiden. Der alte Rüde Fame, der gewohnt war Hellas „Liebe“ in Anspruch zu nehmen und der das Treiben nicht gerade wohlwollend beobachtete, war jetzt wieder entspannt und setzte seinen Mittagsschlaf fort.

Ein Tag wie aus dem Bilderbuch für die beiden Ausreißer. Sie waren glücklich.