05.10.2019

Richard Didicher: Zwei Setter auf der Suche nach den Kinderhänden  

„Das sind also die „Weltenbummler“ und das ist der berühmte Charlie, wir werden ihn kurieren“, sagte er zu Grunz, den er scheinbar besser kannte. Grunz nickte. Lovebird wurde von dem Fremden keines Blickes gewürdigt.

Der Mann nahm aus seinem Rucksack ein Elektrohalsband und legte es Charlie an. Charlie wusste jetzt, dass höchste Vorsicht geboten war. Der furchtbare Schmerz, der ihm dieses Gerät bei seinem ersten „Ausflug in die Natur“ mit Grunz verursacht hatte, saß ihm immer noch in den Gliedern.

Und die Menschen um ihn herum taten so, als ob dies die normalste Erziehungsmethode der Welt sei. Der Stiefelmann hatte einige Bierflaschen aus dem Auto geholt und alle warteten gespannt, dass Charlie einen „Fehler macht“, das heißt das Weite sucht.

(Den Biergeruch kannte Charlie von der Kneipe neben dem alten Schulhof. Also waren sie wieder in Deutschland.)

Nach dieser furchtbaren Fahrt hätte er gerne mal auf dieser Wiese „eine Runde gedreht“, doch diesen Gefallen wird er ihnen nicht tun. Sie würden sich köstlich amüsieren, wenn er vor Schmerz aufjault. Also erledigte er nur sein Geschäft und blieb zitternd neben Lovebird stehen.

Auch ihm wurde so ein Gerät angelegt, aber Lovebird erkannte instinktiv an Charlies Reaktion, dass dieses Ding gefährlich sein muss. Also blieb er in Charlies Nähe und hob nur notdürftig sein Bein an einem Grasbüschel am Wegrand.

Enttäuscht drehten sich die Männer von den Hunden weg. Der Mann in Gummistiefel wandte sich wieder den beiden anderen zu:

„Der eine kennt das Ding und ist vorsichtig, der andere ist zu blöd um abzuhauen. Wenn sie spurten, ist für sie alles in Ordnung und für mich auch.

Also kommen wir zum Geschäftlichen. Ich werde den Kleinen zum Jagdhund ausbilden. Wie sie mir versichern, hat er das Zeug dazu. Was ich aber mit dem Großen machen soll, müssen Sie mir erklären. Man müsste ihm zuerst die Haare abscheren und ihn flott machen, vielleicht ihn mit dem Kleinen zusammen trainieren, denn an diesem scheint er ja zu hängen. Auf jeden Fall werde ich den beiden Manieren beibringen, dass sie in ihren kühnsten Träumen nicht mehr daran denken werden auszubüchsen. Morgen fahren wir los Richtung Spanien, herrliche Jagdreviere zum Trainieren“.

Nachdem er sich mit Grunz und Hüpfer über den Preis geeinigt hatte, wies er seinen Helfer an, die beiden in den Transporter zu bringen.

Als die Tür geöffnet wurde, offenbarte sich für die beiden das Inferno: Auf beiden Seiten übereinander gestapelt je zehn Transportboxen, alle gerade so groß, dass ein Hund darin liegen konnte, aber nicht stehen. Plötzlich jaulten alle „Käfighunde“ los, denn sie dachten, dass sie endlich für einige Minuten ins Freie kämen.

„Fehlalarm, ihr Knastbrüder, heute gibt es keinen Freigang mehr“, rief ihnen der Helfer spöttisch zu.

Drei English Setter, zwei Pointer, zwei Drahthaar und ein Kurzhaar waren die Insassen dieses Infernos.

„Verfrachte die Neuen in die leere Doppelbox, die anderen sind sowieso belegt. Das passt gut, denn der eine ist zu groß für eine normale Box und der andere braucht wenig Platz“ , rief der Mann seinem Helfer zu. Dieser verstand bei dem ohrenbetäubenden Lärm zwar nur die Hälfte, tat aber für Charlie und Lovebird das Richtige.

Auf dem Boden der Box war Stroh aufgeschüttet und sogar ein Wassernapf hing an der Tür.

Auch dieser Transportkäfig war nicht geräumig und normalerweise nur für eine kurze Fahrt für einen mittelgroßen Hund gedacht.

Die Enge war aber für Charlie und Lovebird kein Problem. Sie schmiegten sich aneinander und schliefen sofort ein.

Etwas später setzte sich das Fahrzeug in Bewegung. Jetzt wäre im Normalfall an Schlafen nicht mehr zu denken.

Motorenlärm, schlechte Luft durch eine fehlende Lüftung im Innenraum, das Knurren zweier Boxennachbarn, die sich scheinbar nicht leiden konnten, das Fiepen einer jungen Hündin, die Schmerzen hatte, da sie sich am Tag davor im Stacheldraht verfing, das war für Charlie und Lovebird das „Kontrastprogramm“ zu ihrer behüteten Welt auf dem Schweizer Bauernhof.

Lovebird träumte von seinen spielenden Welpen und Charlie hörte das Weinen von Hella beim Abschied und er spürte ganz deutlich ihre Hände, die versuchten ihn festzuhalten, als die unfreundlichen Männer Lovebird und ihn in den Lieferwagen zerrten.

Auch wenn der Transporter zwischendurch anhielt, blieben die beiden regungslos mit geschlossenen Augen liegen: „Nur nicht aufwachen in dieser neuen, grauenvollen Welt.“