10.11.2019

Richard Didicher: Zwei Setter auf der Suche nach den Kinderhänden  

Die Familie kehrte mit den Hunden in das Kloster in den Weinbergen zurück und sie genossen diese wunderbare Stille, die lediglich durch die Rufe der Rothühner unterbrochen wurde. Fleurs Vater gönnte sich auf der Terrasse auch ein zweites Glas Rotwein, denn er hatte für diesen Abend die Leitung des Restaurants seinem Stellvertreter überlassen, da er das Bedürfnis verspürte, mit Frau und Tochter den Abend ausklingen zu lassen.

Die Hektik in der Küche entging ihm dennoch nicht und nur mit Mühe gelang es seiner Frau ihn zurückzuhalten:

„Es geht einmal auch ohne dich und wir freuen uns so, dich einmal für uns zu haben“, sagte sie. Ihre Worte wurden von Fleur durch einen Kuss auf die Wange des Vaters zusätzlich bestätigt.

Als es auf der Terrasse kühl und der Mistralwind immer stärker wurde, zog sich die Familie in ihre Wohnung zurück und, früher als sonst, schlief auch Fleur ein. In der Küche der Gaststätte war noch ordentlich etwas los und die verführerischen Gerüche hinderten Lovebird am Einschlafen. Charlie träumte bereits auf einer Decke im Eingangsbereich. Seine kleinen Füße bewegten sich im Takt und er gab sonderbare Laute im Schlaf von sich.

Das Toben im Schlosshof war etwas, das seinem Geschmack entsprach und nun versuchte er, in seinem Traum das herrliche Spiel zu verarbeiten.

Es war schon sehr spät und Lovebird, der auch recht müde war, hätte auch schon geschlafen, wäre da nicht so ein leicht beißender Geruch gewesen, der seiner feinen Nase Unbehagen verursachte.

Er schlich sich in den Garten, doch hier blies ihm der entfesselte Wind ganze Rauchschwaden entgegen. Der eine Teil des Daches, der über der Küche war, stand bereits in Flammen.

Lovebird packte die Angst. In seiner Verzweiflung weckte er Charlie, der sofort begriff, dass höchste Gefahr drohte, denn auch das Treppenhaus war voller Rauch.

Instinktiv wussten beide, was zu tun war. Sie rannten bellend die Treppe hoch. Lovebird kratzte heftig mit beiden Pfoten an Fleurs Tür. Der beißende Rauch schnürte ihre Kehlen zu, doch Charlie verbiss sich mit seinen scharfen Zähnen in der Schlafzimmertür der Eltern.

Als Fleurs Vater die Tür aufriss, krochen die Flammen bereits das Treppenhaus empor. Er schrie auf, zog seine Frau aus dem Schlafzimmer , rannte in Fleurs Zimmer, warf eine Decke über sie und rannte mit ihr auf dem Arm die Treppe hinunter. Seine Frau mit Lovebird und Charlie folgten ihm.

Sie rannten in den Klosterhof. Hier kamen ihnen die Mönche wild gestikulierend mit Wassereimern entgegen. Einer der Mönche hatte aus seiner Zelle die Flammen gesehen und die anderen geweckt.

Der Abt hatte sofort die Feuerwehr verständigt, die nach wenigen Minuten eintraf. In der Zwischenzeit hatten die Mönche Schläuche gelegt und die Pumpe am Klosterbrunnen in Gang gesetzt, um das Schlimmste zu verhindern.

Die erschöpfte Familie hatte sich auf einer Bank im Klosterhof niedergelassen.

Fleur klammerte sich an ihren Vater, während die Mutter weinend Charlie und Lovebird unentwegt über den Kopf strich und stammelte: “Danke, ihr habt uns das Leben gerettet, ihr seid ein Geschenk des Himmels“.

Später, als das Feuer gelöscht war, verbrachten sie die Nacht in einer freien Zelle des Klosters und der kratzbürstige Abt war sogar damit einverstanden, dass Charlie und Lovebird bei der Familie schlafen durften.

„Den Heiligen Rochus aus Montpellier hat ein Hund vor dem Hungertod bewahrt, jetzt retten zwei Hunde in unserem Kloster drei Menschen das Leben. Man sollte diesen Geschöpfen in unserer Gegend ein Denkmal setzten“ sprach der alte Herr halblaut vor sich hin und verschwand ebenfalls in seiner Zelle.

Am nächsten Tag stellte sich heraus, dass der Koch, der am Abend vorher scheinbar überfordert war, vergessen hatte, den mit Starkstrom betriebenen Elektroherd auszuschalten.

Die Handwerker der Gegend waren gern gesehene Gäste im Restaurant, einige von ihnen waren auch mit Fleurs Vater befreundet. Sie fanden sich alle am folgenden Abend im Kloster ein, denn die Nachricht vom Brand hatte in der Region die Runde gemacht. Sie versprachen, innerhalb von zwei Wochen die Schäden zu beheben. Der Abt spendierte einige Flaschen Rotwein aus seiner „heiligen Sammlung“, um das Versprechen zu besiegeln.

In den folgenden Tagen wurden die beiden Setter zur Sensation der ganzen Region.

Heerscharen von Menschen kamen, um die beiden Lebensretter zu sehen, Kamerateams lauerten an den Klostermauern um ein Bild von dem Mädchen und ihren Settern zu erhaschen. All das ging Fleur ziemlich auf die Nerven, deshalb verschwand sie mit Charlie und Lovebird die meiste Zeit in der wilden Landschaft. Wenn sie ganz alleine waren, schloss sie sie ganz fest in ihre kleinen Arme und sagte „Danke“.

Die beiden Freunde genossen die Liebkosungen und verbrachten Stunden am Fuße des Kreuzes, das versteckt in den Weinbergen stand.

Die Regenbogenpresse griff gierig die Geschichte von den beiden „Lebensrettern“ auf und überbot sich mit fantasievollen Ausschmückungen.

Bald hatte die Geschichte auch Paris erreicht, natürlich auch die anderen Departments und das Ausland.

Als Herr Hüpfer, wie jeden Morgen, in die Bildzeitung vertieft seinen Kaffee schlürfte, bevor er seine Zwinger ausspritzte, traute er seinen Augen nicht: „Zwei wunderbare Setter retten in Südfrankreich Menschenleben“.

„Die kenne ich doch“, rief er und griff zum Telefon, um Grunz anzurufen.