16.11.2019

Richard Didicher: Zwei Setter auf der Suche nach den Kinderhänden  

 Sie mussten unbedingt ihren Besitz zurückholen.

„Jetzt, wo die Hunde durch die Presse so richtig bekannt wurden, wird ihr finanzieller Wert in die Höhe schnellen. Wenn ich Glück habe, kann ich Charlie in Frankreich „verscherbeln“, die stehen auf diese kleinen Kerle“, dachte er und er begann sofort mit den Reisevorbereitungen.

Er hatte nicht vor, sich mit Charlie länger herumzuärgern. Hunde waren für ihn eine Ware. Er kaufte sie, sie blieben bei ihm einige Jahre zur Zucht, dann wurden sie weiterverkauft. Besonders wenn die Tiere älter wurden, „verhökerte“ er sie mit Vorliebe ins Ausland. „Aus den Augen aus dem Sinn“ pflegte er zu sagen.

Herr Hüpfer verfuhr ähnlich, nur war er weniger plump in seiner Argumentation. Er erfand stets einen traurigen Grund, der ihn veranlasste, die Tiere abzugeben. Häufig erzählte er mit Tränen in den Augen, dass diese unglücklich wären und das Leben im Zwinger sie krank machen würde. Und so war manch altes Mütterchen bereit, für einen älteren Hund einige Hundert Euro zu bezahlen, nur um ihn „zu retten“.

Einen Tag später stand der weiße Lieferwagen vor dem Kloster. Es war ein herrlicher Morgen und Fleur war gerade dabei, in Begleitung einer Freundin mit Lovebird und Charlie zu einem Spaziergang aufzubrechen.

Hüpfer und Grunz lagen auf der Lauer, sie wollten ohne viel Aufsehen die beiden Hunde in den Wagen verfrachten und verschwinden. Mit einer Fangleine ausgerüstet, warteten sie, um die beiden Setter zu Gesicht zu bekommen.

Als sie die Mädchen mit den Hunden sahen, stiegen sie aus. Der für die Hunde so unangenehme Geruch aus dem Inneren des Transporters eilte den beiden voraus. Er verfing sich in den feinen Hundenasen und diese witterten die Gefahr, noch bevor sie die beiden Männer sahen.

Lovebird jaulte auf und Charlie knurrte so fürchterlich, dass sogar die beiden Mädchen vor Schreck erstarrten. Augenblicke später waren die Hunde in den Weinbergen verschwunden.

Hüpfer und Grunz „warfen“ sich in ihr Auto und versuchten hinterher zu rasen. Nach wenigen Hundert Metern hatte sich ihr Fahrzeug an einer Abbiegung festgefahren und je mehr sie versuchten zu beschleunigen, um es wieder frei zu bekommen, desto tiefer gruben sich die Räder in den sandigen Boden.

Sie beschlossen zum Kloster zurückzukehren, um Hilfe zu holen.

Das war bestimmt keine gute Idee, denn die beiden Mädchen, die weinend zurückliefen, hatten bereits über die beiden „Hundefänger“, die es auf Charlie und Lovebird abgesehen hatten, berichtet.

Hier war die Aufregung groß. Schimpfend und wild gestikulierend gingen einige der Mönche auf die Ankömmlinge zu.

Der Abt merkte schnell, dass er Deutsche vor sich hatte, die kein Französisch verstanden. Er verbrachte als junger Mann einige Jahre als Militärgeistlicher in Baden-Baden. Er hatte an der klassischen deutschen Literatur und der deutschen Sprache Gefallen gefunden. Als er wieder nach Frankreich zurückkehrte, sprach er ein makelloses Deutsch, natürlich mit diesem charmanten französischen Akzent.

Er wandte sich an die beiden Männer: „Die Deutschen sind gebildete Menschen und keine Hundediebe. Diese Tiere sind heilige Geschöpfe Gottes, die drei Menschen das Leben gerettet haben. Sie gehören zum Kloster wie wir. Und jetzt verschwindet von hier, bevor wir die Polizei verständigen.“

Als Hüpfer und Grunz über ihr Missgeschick mit dem Auto berichteten und um Hilfe baten, stießen sie auf taube Ohren. Für die Menschen hier waren sie Diebe.

Sie versuchten noch, dem Abt die Besitzurkunden beider Hunde zu zeigen, doch daran war dieser nicht interessiert.

„In eurer Literatur gibt es die Geschichte von einem Kind, das von einem weisen Richter den Menschen zugesprochen wird, die es pflegen und bei denen es sich wohl fühlt. So verhält es sich auch mit diesen Tieren. Selbst wenn sie euch gehören, werden sie wohl wissen, warum sie eure Nähe fürchten, denn das berichteten mir die beiden Mädchen. Geht also, die Tiere gehören hier her und hier werden sie bleiben.“

Die beiden verstanden die Geschichte nicht, Literatur war nicht ihre Sache, also trollten sie sich und liefen Richtung Montpellier, um dort die Polizei um Hilfe zu bitten.

Fleur lief unterdessen durch die Weinberge und suchte Charlie und Lovebird. Sie glaubte fest, sie am alten Steinkreuz zu finden, denn hier hatten sie herrliche Stunden zusammen verbracht. Hier konnte sie den beiden ihr Herz ausschütten und sie war sicher, dass sie jedes Wort verstanden. Wenn sie aber einmal traurig war, schmiegten sich beide fest an sie und sie hatte schnell ihren „Kummer“ vergessen. Leider waren sie nicht hier. Sie lief hinunter zum Meer und suchte sie in den Dünen unter den schattigen Büschen, wo sie stundenlang dem Rauschen der Wellen lauschten. Auch hier fand sie sie nicht. Auf der Grasfläche unterhalb der Weinberge konnte Charlie stundenlang den Rothühnern vorstehen oder nachschleichen, aber auch hier waren sie nicht.

Ihre letzte Hoffnung war die Wohnung im Kloster. Sie redete sich ein, dass die beiden schlau seien und sich bestimmt vor den beiden unfreundlichen Menschen hier versteckt hätten. Sie lief durch den kleinen Garten, durchsuchte jedes Zimmer, aber auch hier fand sie sie nicht. Sie lief sie zu ihrer Mutter, warf sich in deren Arme und wieder weinte ein kleines Mädchen bitterlich.

Am späten Nachmittag kamen Grunz und Hüpfer mit zwei Polizisten aus Montpellier zurück. Der eine sprach etwas Deutsch. Der Großvater des jungen Mannes blieb nach der Kriegsgefangenschaft in Frankreich und wenn er mit seinem Enkel allein durch die Camargue streifte, sprach er Deutsch und rezitierte Balladen von Goethe und Schiller.

Wild mit der Besitzurkunde gestikulierend, näherten sich Grunz und Hüpfer mit ihrer Begleitung dem Kloster.

Der ältere der Polizisten begrüßte Fleurs Vater mit einem Handschlag und dem üblichen „wie geht’s?“.

Vorher fragte er die Beteiligten, ob es sich wirklich um die zwei „Lebensretter“ handele, denn über die beiden hätte ja die Presse ausführlich berichtet. Seine Frage wurde durch die Mönche bejaht.

Anschließend zog er sich mit dem Abt ins Kloster zurück, um in Ruhe den Sachverhalt zu erörtern.

Grunz und Hüpfer redeten in der Zwischenzeit unentwegt auf den jüngeren Beamten ein. Dieser war froh, dass sein Vorgesetzter nach kurzer Unterredung mit dem Abt wieder den Klosterhof betrat und er jetzt dessen Entscheidung mehr schlecht als recht übersetzen durfte:

„Die beiden Urkunden sind kein Beweis, da sie gefälscht sein könnten. Bei den beiden Hunden handele es sich um Tiere, die unter dem Schutz des Klosters stehen, da sie Menschenleben gerettet haben.

Ein Abschleppunternehmen wird das festgefahrene Fahrzeug bergen. Für das unerlaubte Befahren des Naturschutzgebietes wird ein Bußgeld verhängt, dessen Höhe die Polizeidirektion festlegen wird.“

Hüpfer begann auf seine übliche Art zu winseln, was ihm dieses Mal nicht half, Grunz biss die Zähne zusammen und als die beiden wieder allein Richtung Stadt schritten, stieß er wüste Beschimpfungen gegen die Franzosen aus: „Zuerst das Elsass, jetzt unsere Tiere.“

Lovebird und Charlie waren in der Zwischenzeit Richtung Spanien unterwegs. Und jedes Mal, wenn sie einen weißen Transporter sahen, machten sie einen großen Bogen. Die Angst, Hüpfer und Grunz in die Hände zu fallen, saß tief.

Sie liefen zwei Tage ohne Unterbrechung, doch plötzlich sah Charlie, dass die Kräfte seinen Freund verließen. Um es Lovebird leichter zu machen, täuschte auch er Müdigkeit vor und sie ließen sich im Gestrüpp am Rande eines Weihers nieder. Der Schlaf übermannte sie schnell und beide träumten von den weichen Händen von Fleur, die ihnen über den Kopf strichen. Oder waren es die von Rachel, von Bridget oder von Hella?