08.12.2019

Richard Didicher: Zwei Setter auf der Suche nach den Kinderhänden  

Lovebird und Charlie verschliefen mit knurrendem Magen die folgenden Tage in einem schmutzigen Zwinger irgendwo im spanischen Hinterland.

Es schien, als hätte die Welt sie vergessen.

Doch dem war nicht so.

Fleurs Vater, der die verweinten Augen seiner Tochter nicht mehr sehen konnte, fasste einen Entschluss. Er setzte einen Finderlohn, der seinen Einnahmen eines Monats entsprach, aus und es gelang ihm auch den jungen Reporter der „Midi Libre“, welcher über die „Lebensretter im Kloster“ vor Monaten fast täglich berichtete, für die Sache zu begeistern. Dieser startete einen Spendenaufruf, um den Finderlohn von Fleurs Vater auszuweiten.

Nach kurzer Zeit folgte ein Aufschrei in den sozialen Netzwerken. Die Pressefotos von Lovebird und Charlie gingen um die Welt. Täglich meldeten sich bei der Zeitung neue Spender.

In der Schweiz hielt der Winter Einzug und bei Ursula und Noldi auch die Normalität.

Ursula pflegte den Kontakt zu den neuen Besitzern von Lovebird und Fejas Welpen und Noldi verbrachte sehr viel Zeit in seinem Labor. Am Wochenende kam häufig Hella mit Flame, Lovebirds Sohn mit dem weißen Stern auf der Brust, zu Besuch und wenn alle nachmittags in der Küche mit dem großen Fenster zum Garten am Tisch saßen und sich Ursulas Apfelkuchen schmecken ließen, schweiften Hellas Augen über die spielenden Hunde und ihre Gedanken waren weit weg. Sie rannte hinaus, schnappte sich ihren kleinen Flame, der zu einem stattlichen Rüden heranwuchs und kehrte mit ihm in die Küche zurück. Sie saß mit ihm auf dem Boden in der gleichen Ecke, in welcher sie immer mit seinem Vater saß, sie strich ihm mit ihren kleinen Händen über die sanften Wölbungen seiner Stirn und der junge temperamentvolle Hund hielt still, so still als könnte er nie davon genug bekommen, so als würden diese kleinen Hände für ihn die Welt bedeuten.

Alle akzeptierten notgedrungen das Geschehene und als die ersten Schneeflocken fielen, schien es für die Familie so zu sein, wie es immer war.

Wenn da nur nicht eines Morgens Noldis Mitarbeiter zufällig auf ein Bild gestoßen wäre. Er reichte sein Smartphone an Noldi weiter:

„Zwei Hunde wie die Eurigen werden in Frankreich vermisst und die Welt steht Kopf.“

Noldi warf ein Blick auf die Fotos, er traute seinen Augen nicht, er lief mit dem Smartphone zum Wohnzimmer und legte das Gerät wortlos vor Ursula auf den Tisch.

„Es sind Lovebird und Charlie, ich würde sie unter Tausenden von roten Settern erkennen“, sagte Ursula aufgeregt. Nur die Zusammenhänge waren ihnen nicht klar.

Und so machten sich an die Arbeit.

Noldi gelang es, telefonisch Kontakt zu dem jungen Reporter von „Midi Libre“ aufzunehmen. Dieser berief sich zuerst auf den Datenschutz, dann witterte er aber eine neue Story und am Ende war er bereit, den Kontakt zwischen Fleurs Vater und Noldi herzustellen.

Ursula und Noldi erfuhren, dass eines Tages ein Mädchen zwei Setter am Meer in der Nähe eines Klosters fand, diese mit nach Hause nahm, versorgte und ins Herz schloss, dass dann zwei Männer aus Deutschland kamen, die versuchten die Hunde einzufangen, was ihnen aber nicht gelang.

(Ursula und Noldi wussten nach der Beschreibung, dass es Grunz und Hüpfer waren).

Fleurs Vater berichtete Noldi auch über den weiteren traurigen Verlauf der Geschichte, dass die Hunde in panischer Angst davonrannten und im Umfeld des Klosters nicht mehr gesehen wurden und dass er in seiner Verzweiflung über die Medien und den Finderlohn versucht, den verschwundenen Hunden auf die Spur zu kommen.

Noldi erzählte Fleurs Vater wiederum seinen Teil der Geschichte und am Ende stand für beide fest, dass es keine Verwechslung war und dass es sich nur um Lovebird und Charlie handeln konnte.

Sie beschlossen in Kontakt zu bleiben. (Hella wollten sie diese Nachricht später schonend vermitteln).

Ursula erinnerte sich, dass Lovebird und Charlie vorsichtshalber nach ihrer Ankunft vom Tierarzt geimpft wurden, sie suchte sofort das Impfbuch der beiden, das sie verständlicherweise Grunz und Hüpfer nicht ausgehändigt hatte und teilte Fleurs Vater die Chip-Nummern mit, in der Hoffnung zur Suche beizutragen.

Menschen aus ganz Europa, denen diese Hunderasse ans Herz gewachsen war, bemühten sich zu helfen. Spaziergänger mit zwei roten Hunden an der Leine wurden misstrauisch beäugt und manch einer musste Rechenschaft ablegen, dass er der wahre Besitzer seiner Hunde sei.

In Matlock wusste jedes Kind, dass Rachels Mutter diese herrlichen Hunde züchtete und als sie eines Morgens beim Becker in der Schlange stand, reichte ihr die Nachbarin ihr Smartphone mit dem Post von den beiden Settern.

Da sie in Eile war, erwiderte sie nur, dass die Welt voller roter Hunde sei. Die Geschichte verfolgte sie aber den ganzen Tag und am Abend suchte sie die Nachricht und verglich die in der Zwischenzeit veröffentlichten Chip- Nummern mit ihren Unterlagen. Sie wurde blass, griff nach einem Stuhl, um sich hinzusetzen, denn sie landete einen Treffer. Als Rachel schlief, berichtete sie ihrem Mann von ihrer Entdeckung.

Beide kamen zu dem Entschluss, die Tochter vorerst von dieser Nachricht zu verschonen, denn nach dem Verkauf des kleinen Lovebird war ihr Kind wochenlang nicht ansprechbar.

Jede Chip-Nummer beginnt mit einer Zahlenkombination, die das Geburtsland des Hundes dokumentiert und deshalb meldete sich eine Dame des irischen Zuchtverbandes auch bei Mc Donnel, um ihn über den Vorfall zu informieren. Leider stieß die Lady bei ihm auf taube Ohren. Nachdem er seine Unterlagen sichtete, folgte nur ein kurzer Satz: „Charlie wurde nach Deutschland verkauft, korrekt bezahlt, der Rest ist unwichtig“, dann legte er den Hörer auf. Am nächsten Tag, als Bridgets Mutter die Hunde fütterte, war der alte Mc Donnel in Plauderlaune: „Angeblich treibt sich der kleine Bastard, den deine Tochter haben wollte, in Frankreich herum. Fang ihn ein und er gehört euch“, sagte er spöttisch und zeigte ihr die Fotos auf dem Smartphone.

Keinen erneuten Kummer für die Tochter - das war auch bei Bridgets Eltern die Devise.

Insgeheim aber waren sowohl Rachels wie auch Bridgets Mutter fest entschlossen, zu der französischen Familie Kontakt aufzunehmen.

Und während sich die Meldungen in den sozialen Netzwerken überschlugen und täglich neue unwahre Geschichten konstruiert wurden, saßen die beiden Setter in einem verrosteten Zwinger in Spanien und warteten auf ihren Henker.