27.12.2019

Richard Didicher: Zwei Setter auf der Suche nach den Kinderhänden  (letzte Folge)

Sie überflog den Post und verstand nun die Aufregung ihres Mannes.

Ein spanischer Freund hatte ihm die Suchmeldung mit den Fotos der beiden Hunde weitergeleitet.

Er las immer wieder laut die magische Zahl : 35.950 Euro und stammelte dabei:

„Wir sind gerettet. Wir können mit dem Rohbau unseres Hauses beginnen. Sie werden alle die Augen aufreißen, wenn sie unseren Prachtbau sehen, wie ein kleines Schloss wird es aussehen. Du kannst im kommenden Jahr bei den Mädchen bleiben und ich werde im Sommer Urlaub nehmen und an unserem Haus arbeiten. Ich habe bereits diese französische Nummer angerufen und dieser Teufelskerl hat für heute Abend bereits ein Flug von Montpellier nach Bukarest gebucht, wie er das nur geschafft hat. Ich werde meinen Bruder mitnehmen. Ohne Geld keine Hunde, das kann er wissen. Ich lasse mich von einem Franzosen nicht reinlegen.“

Er rannte wild fuchtelnd durch die Küche, suchte einige Kleider zusammen, denn draußen war es frostig kalt, schnappte sich Charlie und Lovebird und zog sie am Halsband in den Bus.

Die Frau lief ihm zur Tür hinterher und rief: “Und die Mädchen, was sage ich den Mädchen, wenn sie wach werden?“

Ihre Worte wurden von dem Geräusch des aufheulenden Motors verschluckt. Sie schloss die Tür, legte ein Holzscheit in den verrosteten Ofen und ließ sich ratlos auf einem Stuhl nieder.

Als die Mädchen aufwachten, schöpften sie anfangs keinen Verdacht, denn sie glaubten, der Vater mache mit den beiden Settern einen Spaziergang, so wie es manchmal die reichen Engländer mit ihren Hunden taten.

Die Frau gab ihr Bestes die Kinder abzulenken. Sie beschloss mit den Mädchen mit dem Linienbus, der im Winter nur einmal täglich fuhr, zu einem Einkaufsbummel nach Bukarest zu fahren. Sie lief etwas abwesend mit den Mädchen durch die verschneiten Straßen der Hauptstadt und sah in den Schaufenstern vieles, das sie aus Italien kannte, nur wesentlich teurer. Ihr Einkauf beschränkte sich auf zwei Puppen für die Mädchen und eine Flasche Korn für die Großeltern.

Ihre Gedanken waren bei ihrem Mann. Fällt er vielleicht auf einen Betrüger herein? Wie werden es die Mädchen aufnehmen? Tut er das Richtige? Normalerweise konnte sie sich auf ihn verlassen. Er war ein Familienmensch, er hielt das Geld zusammen, während andere, die in Spanien arbeiteten, ihr Gehalt mit jungen Dingern verprassten.

Und selbst, wenn sie es nicht zugeben wollte, freute sie sich auch auf das neue Haus.

Sie kehrte mit den Mädchen in ihr Dorf zurück und brachte sie nach dem Abendessen zu Bett. Die Kleinen fragten nicht mehr,wo der Vater mit den Hunden geblieben sei.

Später hörte sie aus dem Zimmer, in dem die Mädchen schliefen, ein leises Schluchzen.

Ihr Mann kam nach Mitternacht nach Hause, legte eine Umschlag mit großen Scheinen auf den Tisch und sagte: „Der Franzose ist ein Ehrenmann und sehr, sehr sympathisch, vielleicht werden wir mal nach Frankreich reisen.“

Die Frau war froh, dass ihr Mann zurück war und bevor sie zu Bett gingen, fragte sie nur: „ Und wie erklären wir es den Mädchen?“

Er blieb ihr die Antwort schuldig, da er keine hatte.

Die Frau konnte nicht einschlafen. In der Nacht hörte sie wieder den Lärm der Hundefänger, die durch die Straßen kurvten und wieder die ängstlichen Schreie der Tiere, die in ihre Fänge gerieten.

Doch dieses Mal wollte es gar nicht aufhören und zuletzt hörte sie ein leises Winseln, das immer lauter wurde.

„Jetzt muss Schluss sein“, sagte sie sich, griff sich eine Jacke und stürzte nach draußen. Sie wusste zwar, dass sie gegen die Hundefänger nichts ausrichten konnte, aber sie wollte wenigstens ihrer Wut Luft machen.

Als sie das Tor öffnete, sah sie die zwei kleinen winselnden Knäuel, die sich unter der Einfahrt versteckten. Sie waren erst einige Wochen alt und zitterten am ganzen Leib. Sie ergriff die Welpen und brachte sie in die Küche.

Sie legte sie auf die Decke von Charlie und Lovebird, rubbelte ihnen das Fell trocken, wärmte ihnen auf dem Gaskocher eine Tasse Milch, die sie gierig tranken, und sagte halblaut: „Euch schickt uns der Himmel oder das Christkind.“

Als Doina und Dorina am Morgen aufwachten, trauten sie ihren Augen nicht, als sie die Welpen sahen, sie begannen sofort sie zu umsorgen, denn die beiden Hundekinder sahen so hilflos aus. Auch für ihren Vater war es jetzt einfacher, ihnen die Geschichte von dem französischen Mädchen Fleur, das den ganzen Tag weinte, da es Charlie und Lovebird so sehr vermisste, zu erzählen. Den finanziellen Teil der Geschichte behielt er aber für sich.

Als Fleurs Vater und der Reporter von Midi Libre am nächsten Morgen mit Charlie und Lovebird in Montpellier landeten, war es noch früh, und so gelang es dem Vater ohne Belästigung durch die Boulevardpresse am Flughafen mit den Hunden in ein Taxi zu steigen und bevor Fleur richtig wach war, das Kloster zu erreichen.

Als diese noch etwas schlaftrunken durch das Fenster blickte, fiel ihr plötzlich die Kakaotasse aus der Hand und sie rannte im Nachthemd in den Klosterhof, denn sie sah ihren Vater mit Charlie und Lovebird aus dem Taxi steigen. Die Begrüßung ließ sich nicht in Worte fassen. Endlich hatte das lange, bange Warten ein Ende.

Fleur fiel ihrem Vater um den Hals und dieser wusste, dass er das Richtige getan hatte und dass kein Aufwand zu groß gewesen war, um seine Tochter glücklich zu sehen.

Die Wochen vor Weihnachten hatten in Südfrankreich etwas vom Zauber des ewigen Herbstes. Der fast menschenleere Strand in der Nähe des Klosters erholte sich jetzt von den Strapazen des Sommers. Eine milde Sonne, die mittags die vielen bunten grünen Steinen am Meer erwärmte, schuf zwischen den Dünen für Fleur und ihre beiden Settern eine warme Oase zum Träumen.

Hier war sie mit ihren Hunden alleine und ungestört, hier konnte sie den Schmerz und die Trauer, das endlose Bangen des Sommers hinter sich lassen.

Ihre Eltern ließen sie gewähren, wenn sie sich zurückzog, und stellten keine Fragen.

Der Vater war in seinem Restaurant mit den Weihnachtsvorbereitungen beschäftigt und arbeitete in jeder freien Minute an seinem Plan, der für Fleur die große Überraschung werden sollte.

Zur Mittagszeit an Heilig Abend, als Fleur gerade dabei war mit Charlie und Lovebird noch eine Runde zu drehen, stand plötzlich ein Auto mit Schweizer Kennzeichen im Klosterhof, ein Mädchen riss die Wagentür auf und stürmte auf die Gruppe zu. Fleur war verblüfft, die beiden Setter aber freuten sich riesig, denn sie hatten Hella sofort erkannt. Als Ursula und Noldi mit dem halbstarken Flame an der Leine dazu kamen, verstand Fleur die Zusammenhänge und sie freute sich ebenso sehr. Lovebird konnte seinen Sohn beschnuppern und Charlie war zu dem Wildfang so gütig, wie sonst zu kaum einem anderen Rüden.

Die beiden Mädchen wollten sich sofort mit den drei Hunden absetzen, doch Fleurs Vater bat die Kinder, nicht zu lange wegzubleiben, denn sie müssten alle noch zum Flughafen nach Montpellier, der nur fünfzehn Kilometer entfernt war, dort erwarte sie der nächste Teil der Überraschung.

Nachdem die beiden Mädchen von ihrem Spaziergang zurückkamen, fuhren alle nach Montpellier, natürlich hatten sie die Hunde dabei.

Fleurs Vater hatte in einer Tragetasche selbstgeschriebene Schilder versteckt.

Als das Flugzeug aus London ankam, hielt er das Schild mit dem Namen „Rachel“ hoch, ein Mädchen rannte heran und stürzte sich sofort auf Lovebird.

„Das muss er sein“, rief sie zu ihrer Mutter, die sie begleitete. Die stürmische Begrüßung musste abgebrochen werden, denn fünfzehn Minuten später landete das Flugzeug aus Dublin und das Schild „Bridget“ wurde gezückt. Das irische Mädchen drückte sich an seine Mutter, überblickte die Runde und nahm, ohne ein Wort zu sagen, Charlie in den Arm.

Fragend blickten alle Fleurs Vater an, denn dieser hatte noch ein Schild mit den Namen „Doina und Dorina“. Er meinte, dass die rumänischen Mädchen unbedingt dabei sein müssten, denn schließlich habe ihr Vater Lovebird und Charlie aus der Hölle der spanischen Perera gerettet.

Als das Flugzeug aus Bukarest landete, tauchten am Terminal zwei kleine Mädchen in warmen, wolligen Mänteln, zwei wuscheligen Welpen im Arm, mit ihren Eltern auf.

„Jetzt sind wir vollständig“, sagte Fleurs Vater und er fuhr fort.

„Dies ist eigentlich die Einladung von Charlie und Lovebird, die ich in ihrem Namen organisiert habe. Sie wollten heute all die Menschen, die ihnen Gutes getan haben und die sie geliebt haben, um sich haben. Lasst uns zusammen Weihnachten feiern und Freunde bleiben.“

Sie fuhren alle zusammen zurück und bezogen ihre Zimmer im stillgelegten Teil des Klosters.

Danach trafen sie sich zu einem üppigen Abendessen im Restaurant. Die Erwachsenen genossen die französischen Spezialitäten, doch die Kinder waren durch die Flut der Eindrücke so überwältigt, dass die meisten Köstlichkeiten unberührt auf ihren Tellern blieben.

Nach dem Essen trafen sich alle wieder zum Weihnachtsgottesdienst in der ehrwürdigen mittelalterlichen Klosterkirche.

Die Mönche hatten ausdrücklich im Vorfeld die Menschen aus der Umgebung gebeten, ihre Tiere zum Weihnachtsgottesdienst mitzubringen.

Die steinernen Bänke der Kirche waren mit roten Kissen belegt, der Altar war mit vielen Blumen geschmückt und die Mönche trugen ihre festlichen schwarzen Sonntagskutten. Der Abt hielt eine feierliche Predigt über den heiligen Rochus aus Montpellier. Als dieser auf seiner Rückreise in Piacenza mit der Pest infiziert war, wurde er von niemandem gepflegt. Er „empfahl sich Gott“ und ging in eine einsame Holzhütte im Wald. Dort wurde er der Legende nach von einem Engel gepflegt, und ein Hund brachte ihm solange Brot, bis er wieder genesen war.

Doch die Engel des heutigen Weihnachtsabends, so betonte der Abt, seien Rachel, Bridget, Hella, Doina und Dorina und natürlich Fleur, denn, so wie der Hund für den Heiligen da war, so waren diese sechs Kinderengel für Lovebird und Charlie, diese beiden wunderbaren Geschöpfe Gottes, da.

In einer Ecke der alten Kirche, auf warmen Decken, lagen Lovebird, Charlie, Flame und die kleinen rumänischen Waisenhunde. Sie verstanden zwar die Worte des Abtes nicht, sie blinzelten aber ins Kerzenlicht und waren glücklich.

Lovebird drückte sich fest an seinen Freund Charlie und alle genossen die zahlreichen Kinderhände, die ihnen das Fell kraulten. Wie sehr hatten die beiden diese Kinderhände gesucht, besonders an den Tagen, als sie in Käfigen eingesperrt waren und von der Welt vergessen schienen.

Wir wünschen allen Lesern ein glückliches, gesundes 2020 mit viel Spaß an Ihren Hunden.