14.02.2020

Christine Goetz: "Setterliebe macht verwundbar"

Setterliebe macht verwundbar.

 

Vito und das Jagen.

Ich bin ein sehr sensibler und emotionaler Mensch. Das wurde im Zusammenleben mit Vito noch stärker, denn er ist mir sehr schnell sehr an`s Herz gewachsen.

Was es bedeutete, einen jungen Jagdhund großzuziehen, wusste ich. Er war mein zweiter Setter und beim Ersten hatten wir aus Unwissenheit so ziemlich alle Anfängerfehler gemacht. Unsere Setterhündin hatte draußen einen sehr großen Radius. Nicht selten hetzte sie Hasen und sie verschwand ab und zu mal für einige Zeit im Wald.

Dann kam Vito, dieses kostbare Geschenk, dieser Rohling, diese Aufgabe. Ich wollte das Hetzen von Anfang an unterbinden. Da ich „harte“ Methoden in der Hundeerziehung jedoch ablehne, begannen wir mit dem Clickertraining. Vito hatte einen wirklich guten Gehorsam, was mir sehr, sehr wichtig war und so war das Vögeljagen nicht erlaubt. Nur einmal flog zur Warnung ein Schlüsselbund neben ihn, als er gerade losrennen wollte. Von da an reichte ein Klappern in der Jackentasche.

Ich hatte die Bücher von Hilde Schwoyer im Kopf. Auch sie hatte immer gepredigt, dass der Setter („das Hunderl“) nicht hetzen dürfe! Wenn es um Vito ging war ich immer auf der Hut und erlaubte ihm - nebenbei bemerkt - auch nicht das Herumblödeln mit Stöcken (und war deshalb eine Art „Alien“ im Bekanntenkreis), da einmal ein Stück Stock mit Blut behaftet hinten beim Hund wieder herauskam.

Wie auch immer. Mit meiner Konsequenz in Bezug auf das Jagdverbot, so dachte ich, hatte ich es geschafft:

Mein Setter würde nicht jagen. Dann gab es ein eigentlich wunderschönes Treffen mit Vito`s Bruder und dessen Besitzern. Wir unternahmen häufige Treffen, damit die Brüder zusammen toben konnten.

Es war um Ostern in allerschönster Frühlingslandschaft und wir Menschen, in Gesprächen vertieft, als plötzlich zuerst ein Hase vor uns davonrannte, Vito`s Bruder schoss wie eine Rakete hinterher und Vito folgte. Alles Pfeifen half nicht, die Hunde rannten und rannten einen Hügel hinab, einen anderen Hügel wieder hinauf, bis wir sie nicht mehr sahen.

Meine Beine zitterten. Mein Schätzle war weg, mein Augapfel!

Wenige Augenblicke später raste ein wütender Landwirt in seinem VW-Bus auf uns zu. Er brüllte aus dem offenen Fenster. Im selben Moment kam Vito von der Jagd zurück, blind für das Auto.

Heute weiß ich, es hätte nichts passieren können. Aber in meiner Angst dachte ich damals, der Mann überfährt in seinem Zorn meinen geliebten Hund.

Meine Emotionen gingen total mit mir durch und mir kamen die Tränen. Schließlich trabte auch Vito`s Bruder gesund und munter von seinem Abenteuer zurück und der Landwirt rauschte wieder davon, nachdem er uns eine Standpauke gehalten hatte.

Am nächsten Tag musste ich mich erstmal sammeln.

Ja, ich weiß: Das Kommando „Down“ kann das Leben des Hundes retten und ich kannte zwei Hunde, die es konnten (Münsterländer und Deutsch Drahthaar). Bei beiden weiß ich aber nicht, unter wieviel Zwang sie es beigebracht bekamen. Meinem Hund Schmerzen zuzufügen kam nie in Frage. Auch nicht, wenn es zu seiner Sicherheit gewesen wäre.

So meldete ich uns zum Dummytraining an, um Vito noch besser auszulasten. Ich bestellte eine 10m-Schleppleine. Vielleicht bedeutete diese später für Vito 20% weniger Spaß, aber für mich bedeutete sie in wildreichen Gegenden (dort kam sie zum Einsatz) 100% Seelenfrieden.

Er hat es mir sicher verziehen. Ich glaube, er war trotzdem ein sehr glücklicher Setter.

Er hat mich verwundbarer und vorsichtig gemacht, aber warum sollte es auch falsch sein, zu beschützen, was - oder besser wen - man liebt? Man nimmt ein kleines Kind an der Straße ja auch an die Hand.

Ich bekomme jedenfalls Herzrasen, wenn ich in den sozialen Netzwerken sehe, wie Menschen ihre Hunde völlig unkontrolliert hunderte von Metern weit rennen lassen. Das ist nur mein Gefühl und meine Meinung.

Jeder wägt das für sich selbst ab und niemand kann aus seiner (vielleicht dünnen) Haut.