28.11.2021

Richard Didicher

Das Zusammenleben zwischen Mensch und Hund hat mich fasziniert und bewegt. Es war mir stets ein Anliegen dieses komplexe Verhältnis in meinen Erzählungen zum Ausdruck zu bringen.

Doch es gibt eine Geschichte, die dennoch so schwer in Worte zu fassen ist, da so einfach, so groß und so wahr.

Eine Frau und ihr Hund - eine Kurzgeschichte

Alles begann mit einer Autofahrt.

Der Mann blickte zu seiner Frau auf den Beifahrersitz. Sie hielt ein Settermädchen im Arm, das sich fest an sie presste. Das Setterkind blickte unentwegt zu ihr hoch, so als wollte es flehen: “Bitte bringt mich nie mehr zurück.“ Die Frau erwiderte, so als hätte sie den Blick verstanden: „Ich verspreche es dir.“

Der Mann war noch zu sehr mit dem vorher Erlebten und dem traurigen menschlichen Umfeld beschäftigt, in welches der Welpe hineingeboren wurde: Verlustängste? Liebe, die zu Hass wurde? Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom?

Und auch er sagt laut: “Auch ich verspreche Dir, wir werden dich beschützen vor allem Lautem und Bösen, allen zum Trotz.“

Das Setterkind verbringt unbeschwerte Tage mit der neuen Familie in Frankreich, spielt im Garten und wenn es müde wird, schläft es auf Schoß der Frau ein.

Aber irgendwie ist dieser kleine Setter anders als alle Welpen, die vorher bei der Familie aufwuchsen. Trotz seiner hervorragenden Nase geht er nicht auf Erkundungstouren, sondern hält sich immer im Umfeld der Frau auf und folgt ihr auf Schritt und Tritt, wie die Gänseküken von Konrad Lorenz es taten. Ihre erste Autofahrt auf dem Arm der Frau hatte eine Bindung aufgebaut für ein ganzes Leben.

Anfangs denkt man, es gäbe vielleicht körperliche Beschwerden, die ihren Bewegungsdrang hemmen. Sie wird von einem Tierarzt gründlich durchgecheckt. Sie ist kerngesund.

Manchmal aber, wenn sie in ihrer Nähe nicht nur Wild vermutet, sondern dank ihrer ausgezeichneten Nase über dessen Existenz Bescheid weiß oder mit ihrer Freundin aus dem Odenwald unterwegs ist, dreht sie auf und quittiert ihre Aktion mit einem perfekten Vorstehen, um nach dem Abstreichen des Federwilds sofort wieder die Nähe der Frau zu suchen.

Aber sie ist wahrlich kein „Prüfungshund“, der sich herumkandieren lässt.

Über ein Feld hetzen, wenn ihre Nase ihr im Vorfeld sagt, dass es kein Wild gibt, nur um „Finderwillen“ zu zeigen, weil dies ihr befohlen wird, findet sie blöd. Und die erschrockenen Volierehühner sieht sie nicht als Wild, wahrscheinlich tun sie ihr leid.

Im menschlichen Umfeld fühlt sie sich wohler. Sie hat längst verstanden, dass die meisten Menschen nicht laut, sondern lieb sind und eine ist für sie die liebste. Sie blickt die Frau mit ihren Kastanienaugen an und weckt Erinnerungen an Generationen.

Sie beherrscht aber auch die Fähigkeit mit ihrer Beschützerin verbal (Quengeln, Fiepen, Jaulen, Piensen) oder nonverbal (durch Blicke) zu kommunizieren.

Es sind vielfältige „verschlüsselte Gespräche“, diese öffentlich wiederzugeben, wäre ein Vertrauensbruch beiden gegenüber. Meist geht es um die Futterabfolge, deren Begriffe der menschlichen Speisefolge entlehnt sind oder Erziehungsmaßnahmen, die überflüssig sind und deshalb nicht fruchten. „Angeblich“ reagiert „die Kleine“, die in der Zwischenzeit zu einer stattlichen Setterdame herangewachsen ist, auf das Wort „Steh“. Mehr ist aber auch nicht nötig.

Eines ist aber sicher: die beiden Mädels, wie die Frau die Kleine und ihre Halbschwester nennt, sind zwar unserer Sprache nicht mächtig, verstehen aber jedes Wort.

Gut, dass sie nicht schreiben können, sonst würden sie bei jeder Zurechtweisung eine Akte anlegen, die jeden Stasibericht in den Schatten stellen würde.

Und die Frau ist stolz, wenn ihr kluger Hund vom Spaziergang an ihrer Seite einen Apfel nach Hause trägt. Die Frau meint: „Es ist besser einen Apfel als ein „vergammeltes“ Kaninchen zu apportieren“.

Und wenn sich eine Autotür öffnet, nimmt „die kleine Lady“ die Gelegenheit wahr und stürmt hinein. Insgesamt liebt sie das Auto der beiden, sie erkennt es sogar am Motorgeräusch, denn alles begann mit einer Autofahrt, ihrer erste Fahrt in eine neue, schönere Welt.