01.03.2022: Fortsetzung - Teil 3

Eigentlich dürfte es Lukas gar nicht geben, denn in der DDR gab es für alles Reglementierungen und selbstverständlich auch für die Hundezucht. In jedem Wurf durften nur acht Welpen am Leben bleiben. Die anderen wurden „gemerzt“.

„Welch hässlicher Ausdruck“ schimpfte Josephs Vater, natürlich nur, wenn sie allein waren. „Merzen statt Töten, wir Deutschen sind Meister im Beschönigen und Verfälschen der Worte. Und dabei widerspricht diese Aussortierung allen Gesetzen der Genetik“ Denn von dieser Wissenschaft, die allmählich auch in der Tierzucht Einzug hielt, hatte er bei Fortbildungen über die Auswahl der Zuchttiere in der Viehzucht einiges mitbekommen. „Wie kann ich sehen, welcher Hund über die besten Erbmerkmale verfügt, wenn ich manchmal ein Drittel nach der Geburt töten muss? Das sind faschistische Methoden“, schimpfte er abends, wenn das Hoftor verschlossen war und er und seine Frau sich ins Schlafzimmer zurückgezogen hatten, wo auch die Körbe für die Hunde und der Fernseher stand.

Was ihn genauso nervte war der „Antrag auf Deckrüdenzuweisung“, den er ausfüllen sollte. „Bald wird auch für die Menschen gelten: eine Genossin und ein Genosse und vorher ein Antrag an die Partei!“ schimpfte er. Obwohl seine Frau ihn warnte, ließ er es sich nicht nehmen, jeden Abend das Westfernsehen einzuschalten und wenn Brandt eine Rede hielt, hörte er andächtig zu. Das Schlafzimmer hatte keinen Telefonanschluss und konnte so nicht verwanzt werden. Als LPG-Vorsitzender waren ihm die Stasimethoden nicht fremd. Das ist unser sicherer abhörgeschützter Bunker lästerte er manchmal, wenn er mit seiner Frau allein war. Und Joseph flüsterte er öfter zu: „ Wir wären Narren, wenn wir uns ihnen widersetzten, denn sie haben die Macht. Mit den Wölfen heulen heißt nicht ein Wolf zu sein. Früher, als die Kirchenglocken läuteten, haben unsere Setter auch geheult, aber sie waren beileibe keine Wölfe. Joseph, du musst ihnen immer sagen, was sie hören wollen, Aufrichtigkeit und Zusammenhalt gibt es nur in der Familie.“ Randbemerkung des Autors: Ob Vater und Sohn, die ja beide zu Aufsteigern und Profiteuren dieses Systems wurden, obigem Grundsatz treu blieben, ist fraglich. Während eines Besuchs bei seinen Eltern, stellte Leutnant Joseph sofort fest, dass sein Vater an diesem Tag etwas fahrig und leicht nervös war. Er bat zum ersten Mal seinen Sohn, die Uniform abzulegen, er sagte nur :

“So ist es mir lieber, so sehe ich meinen Sohn und nicht die geballte Staatsgewalt“, danach bat er ihn ins Schlafzimmer und führte ihn an die Wurfkiste: „Neun gleiche und gesunde Welpen und einer muss getötet werden, das geht nicht in meinen Kopf!“ Joseph streichelte die Welpen, jeden einzelnen, wie er es als Kind schon immer getan hatte, dann richtete er sich auf und sagte: „Vor der Wurfabnahme komme ich wieder und dann nehme ich den Welpen mit dem weißen Brustfleck mit. Er wird Lukas heißen. Dann sind es nur noch acht. Leutnant Joseph Wild ist nicht verpflichtet, Auskunft über die Herkunft seines Jagdhundes zu geben.“

Es trifft sich gut, da sie mir sowieso den Jagdschein als kleine Anerkennung zugeschickt haben. Erleichtert umarmte der Vater seinen Sohn. Und so nahm das Schicksal seinen Lauf. Lucas wuchs zu einem prächtigen Setter heran. Er war hochnäsig und schön. Wenn die „Trassenhunde“, die es der Grenze entlang an manchen Stellen noch gab, ihn wütend ankläfften, drehte er überheblich den Kopf in die andere Richtung. Joseph tadelte ihn dann: „Die armen Kerle würden gern mit dir tauschen, sei nicht so arrogant.“

Fortsetzung am kommenden Wochenende. Heute aber schon zu lesen: https://tieremenschengeschichten.de.tl