Epilepsie

Die Grundlagenforschung bei der Epilepsie beim Hund steckt im Vergleich zur Forschung in der Humanmedizin noch „in den Kinderschuhen“. Da viele Forschungsarbeiten in der Neurobiologie aber am Tiermodell (also mithilfe von Tierversuchen) durchgeführt werden, ist eine Übertragbarkeit der Ergebnisse aus der Humanforschung durchaus legitim.

Hier eine kurze, stark vereinfachte Übersicht:

Neben den zahlreichen neuropathologischen und psychischen Faktoren, die Krampfanfälle auslösen können, kennt man heute etwa 21 Gene, die an der Vererbung der idiopathischen Epilepsie beteiligt sind. Diese beinhalten Informationen zur Bildung von Proteinen, die die Informationsübertragung im zentralen Nervensystem regulieren.

Die intensive Forschung über mehr als 15 Jahre beim Menschen zeigt aber, dass es für die Mehrheit der Epilepsie-Fälle keine genetischen Ursachen gibt und dass die vererbten Formen auch nicht auf ein Erbschema beschränkt sind. Man kennt Formen von der autosomal dominanten Vererbung (also einer der Elternteile gibt die Krankheit an seine Nachkommen auf jeden Fall weiter), die mitochondriale Vererbung (die krankheitsauslösenden Faktoren werden von der Mutter über die Eizelle vererbt), die x-chromosomale Vererbung (die krankheitsauslösenden Faktoren liegen auf dem X-Chromosom) oder auch rezessive Erbgänge.

In Tiermodellen hat sich jedoch gezeigt, dass es häufig multifaktorielle Komponenten sind, die dann auch zu unterschiedlichen Erscheinungsbildern führen können. So kann es durch eine Mutation (genetisch bedingte Veränderung) an einem Teilbereich von Kanalproteinen (Eiweiße, die Kanäle, also Öffnungen in der Außenhülle der Nervenzelle bilden)zu einer Blockade besagter Kanäle und einer damit verbundenen, fehlerhaften Informationsübertragung kommen (ähnlich wie bei der Entstehung von Migräne z.B.), andererseits sind aber auch Varianten möglich, die diese Kanäle ständig offen halten und es so zur Übererregung der Nervenzellen und zu einem synchronen „Informationsfeuern“ kommt, eben zu dem besagten „Gewitter im Gehirn“.

Interessant ist in diesem Zusammenhang aber auch, dass zahlreiche „de novo - Mutationen“ gefunden wurden, das heißt, Veränderungen, die sich entweder erst bei der Bildung von Keimzellen ergeben oder auch erst während der Embryonalentwicklung auftreten können. In diesen Fällen sind die Eltern an der Ausprägung solcher Epilepsie-Formen unbeteiligt.

Am häufigsten zeigten sich aber Fälle von postnatalen, also erst nach der Geburt eingetretenen Veränderungen sogenannter Kalium-Ionenkanäle, die zu einer Verhinderung, Dämpfung oder Absenkung hemmender Aktionen der Nervenzellverschaltungen führen und so wiederum die oben beschriebene Übererregung auslösen. Hierbei spricht man dann von syndromaler Epilepsie oder einfacher von Krampfanfällen, die aber eine andere Ursache haben und nur begleitend (komorbid) mit anderen Krankheitsbildern einhergehen. Hierzu zählen Fehlbildungen oder Störungen des Stoffwechsels, auch des Stoffwechsels der Mitochondrien, der sog. „Kraftwerke der Zelle“, also Zellbereiche (Zellorganellen), die für den Energiestoffwechsel zuständig sind. Auch Veränderungen der Großhirnrinde oder Syndrome, die mit Lernschwierigkeiten und kognitiven Beeinträchtigungen verbunden sind sowie Migräne können von Krampfanfällen begleitet werden.

Lernen heißt immer, also auch beim Hund, Umweltreize und Erfahrungen erfassen, verarbeiten und „abspeichern“.

Umwelteinflüsse, die von allen Sinnesorganen wahrgenommen werden, gelangen an die unterschiedlichen Zuständigkeitsbereiche im Gehirn, werden dort verarbeitet, interpretiert und auch abgespeichert. Diese Prozesse verlaufen in geregelten, vorgegebenen Nervenbahnen.

Manchmal werden „Lernbahnen“, die normalerweise geordnet verlaufen, unkontrolliert und schlagartig stimuliert. Auch dies führt zu besagtem „Gewitter im Gehirn“, einem Krampfanfall.

Was ist also die Schlussfolgerung? Krampfanfälle sind häufig eben nicht erblich bedingt, es gibt eine große Anzahl unterschiedlicher Ursachen.

Dabei bedarf es auch beim Hund immer eines Auslösers, das heißt, eines (Umwelt)-Reizes, der zu solchen „Kurzschlüssen im Gehirn“ führt.

Wichtig ist es, die auslösenden Faktoren zu kennen.

Manche dieser Ursachen können durch die Tiermedizin diagnostiziert werden:

Hormonelle Ursachen(z.B. Schwankungen des Blutzuckerspiegels, falsche Konzentration von Geschlechtshormonen, gestörter Ionenhaushalt), Stoffwechselerkrankungen, z.B. auch Lebererkrankungen, anatomisch- pathologische Veränderungen (Tumore, Geschwulste), traumatische Erfahrung als Auslöser.

Tierärzte vermuten, dass z.B. auch Stress ein solcher Auslöser sein kann, dies wird uns von der humanmedizinischen Forschung bestätigt. Diese Liste lässt sich beliebig verlängern.

Wenn die Ursachenforschung abgeschlossen ist und zu keiner Diagnose geführt hat, gehen Fachleute von einer vererbten Disposition, also einer erhöhten Wahrscheinlichkeit, dass die Krankheit auftreten kann.

Leider wird ein Krampfanfall oft zu voreilig für eine erbliche Epilepsie gehalten, die es natürlich auch beim Hund gibt und die man nicht wegdiskutieren kann. Auch beim Hund bestätigen die neuesten Forschungen, dass es keinen einheitlichen Erbgang der idiopathischen Epilepsie gibt. Am häufigsten wird ein polygener Erbgang vermutet. Und hier beginnt die Schwierigkeit für den Züchter. Konkrete Aussagen über das Risiko beim Auftreten von Epilepsie bei einer Verpaarung lassen sich schwer treffen. Man sollte aber beachten, dass gehäuftes Auftreten von Epilepsien in bestimmten Linien auf eine idiopathische Epilepsie schließen lässt und dass eine Weiterzüchtung dieser Linien nicht sinnvoll ist.

Generell gilt jedoch: ohne einen entsprechenden Auslöser tritt die Krankheit nicht auf.

Studien bei Menschen haben gezeigt, dass Auslöser, die gezielt verabreicht werden (z.B. kurze, bewusst nicht wahrnehmbare Lichtblitze) auch ohne nachweisbare Disposition bei 80% der zufallsmäßig ausgewählten Probannten nach einer bestimmten Zeit Krampfanfälle auslösen. Deshalb sollte man die Sache nicht nur vorschnell auf die Genetik „schieben“, sondern eben auch Ursachenforschung betreiben, sich auf die Suche nach Auslösern zu begeben.

Hierzu ist es notwendig Daten und Fakten zu sammeln, zu vergleichen und auszuwerten. Wir wissen noch viel zu wenig über die Gefühlswelt der Hunde im Zusammenleben mit dem Menschen oder über missverständlich entstandene Stress-Situationen. Die neuesten Erkenntnisse über die Erforschung von Spiegelneuronen (spezielle Verschaltungen von Nervenbahnen im Gehirn, die für das Einfühlungsvermögen des jeweiligen Individuums zuständig sind) beim Menschen haben ergeben, dass es eine größere Übereinstimmung der Verschaltungen zwischen Mensch und Hund gibt als zwischen Mensch und Schimpanse, obwohl mit letzterem 98% genetische Übereinstimmung besteht. Der Hund kann also unsere Gefühlswelt verstehen, ist damit aber auch dem Risiko einer potentiellen Überforderung ausgesetzt.

Wichtig wäre zu wissen, welche Stress-Situationen zum Beispiel Anfälle auslösen.

Bekannt sind Überforderungen bei Arbeitshunden, Sexualstress bei Rüden, Trennungsstress (wenn Menschen Koffer für den Urlaub packen und der Hund bereits die Erfahrung gemacht hat, er kann nicht mit).

Doch es wird in einem Hundeleben noch viele weitere belastende Situationen geben.

Solange es keine zielgerichteten molekularbiologischen Verfahren gibt, die eine idiopathische Epilepsie eindeutig nachweisen, ist die Suche nach den Auslösern von Krampfanfällen für den Hundehalter mit Sicherheit von großer Bedeutung. Dies ist als eine Art Prophylaxe zu sehen. Kennt man die Auslöser, kann man sie unter Umständen gezielt vermeiden. Und wenn man dadurch nur die Anzahl der Anfälle verringern kann, erspart man sowohl Hund als auch Mensch viel Leid.