„Menschen/Setter“

26.04.2020 Richard Didicher:

Olga, Lovely und Fleur

Im Jahre 1988 wurde standesgemäß in einer französischen Penthouse-Wohnung über den Dächern von Strasbourg eine wunderbare Setterhündin geboren. Das Geschlecht der „du Sentier aux Mimosas“ war gegründet.

Danae du Sentier aux Mimosas, genannt Lovely

Man hatte kurzerhand das Arbeitszimmer geräumt, mit einer Folie ausgelegt, die Zahnarztpraxis für zwei Monate geschlossen und Welpen betreut. Der ach so typische Welpengeruch strömte ungeniert durch das Haus und wies dem Besucher den Weg vom Aufzug in die Wohnung.

Sie war „auserkoren“ in Deutschland das Geschlecht ihres Vaters weiterzuführen, das unter dem strengen Regiment ihrer Großmutter Denise, einer alten englischen Lady, stand. Deshalb war die Begrüßung in der neuen Heimat wenig erfreulich.

Es begann eine Woche der Provokationen, denn die Alte fürchtete um ihre Position und gab alles, um dem Welpenmädchen das Leben schwer zu machen. Als die Woche zu Ende war, wanderte die kleine Französin mit dem elsässischen Durchsetzungsvermögen um des lieben Friedens willen in das Nachbarhaus zu Tante Olga. Sie baute sich ihre eigene Residenz auf mit zwei lieben Menschen und einem Dackel als ihre Diener. An ihrem Anrecht auf die zukünftige Stammmutter hielt sie aber fest. Sehr früh stieg sie zur Sippenmutter auf und wartete huldvoll, dass die anderen Familienmitglieder ihres Rudels sie stets mit Schnauzelecken auf Wolfsart begrüßten.

Sie zählte zu den ersten Europäern der Setterwelt: Enkeltochter des großen Nightfever aus England, geboren in Frankreich, Wohnsitz in Deutschland, verliebt in der Schweiz.

Und sie wurde 15 Jahre begleitet, geliebt und verwöhnt von ihrer Gönnerin Olga.

Es gab Lovely nicht ohne Olga und umgekehrt genauso.

Auf der Fahrt zu irrwitzigen Ausstellungen nach Dortmund im alten Peugeot, der manchmal streikte; auf dem Hundeplatz an der Elsenz, in Epfenbach im Feld, bei Spaziergängen oberhalb vom Fischersberg, beim „Ochsen“ in Mauer, Olga und Lovely waren immer dabei.

Ihr Mann Herrmann, ein schweigsamer, lieber alter Herr saß manchmal daneben und freute sich über das neue Lebensgefühl, das seine Frau durch Lovely genoss.

Und als die französische Schönheit endlich Mutter wurde, war es selbstverständlich, dass eine Tochter von Lovely in das Haus am Hang einzog.

Sie fehlte plötzlich in unserem Welpenzimmer und hatte im Haus gegenüber Einzug gehalten.

Sie hieß Fleur (Blume) und ein Freund amüsierte sich köstlich, wenn Olga von ihrer Flöör sprach.

Fleur und ihr Bruder Feu waren bemüht, das Geschlecht der Red Loves und der Mimosas weiterzuführen. Fleurs Kinder Marco und Murielle machten den beiden Geschlechtern alle Ehre und Olga freute sich über den Ruhm.

Bei Olgas Beisetzung stand ein alter Herr mit einem alten Hund an der Leine am Grab. Unser Freund Wolfgang mit seinem Marco. Beide wie aus einer anderen längst vergangenen Zeit.


26.04.2020 Richard Didicher:

Tommy und Digger

Er war ein Mann, der im Leben alle Höhen und Tiefen kannte.

Ein freundlicher und stolzer Mann, der sich dem roten Setter verschrieben hatte. Zwischendurch still und nachdenklich, fast melancholisch, mit einem Glas Rotwein in der Hand.

Er war Züchter mit Leidenschaft. Sein Lebensziel war aber die Erhaltung des klassischen roten Setters, wie er ihn in England kennenlernte und konsequent weiterzüchtete.

„Die Roten Ruten (Red Tails)“, so nannte er seine Zucht. Natürlich klingt bei diesem Namen schon ein wenig Ironie mit, denn dieser Mann, der den Setter in seiner Morphologie, Bewegung und Wesen so gut kannte wie kein anderer, hätte ihn nicht auf eine Rute reduziert.

Er genoss die Kontraste. Als Richter im Ring groß und adrett gekleidet, als Betrachter am Rande des Geschehens im sportlichen Outfit, was so gar nicht zu ihm passte.

Wenn es um die Sache ging, um die Identität des Irish Setters, war der riesige Mann kompromisslos. Den kleinen weißgefleckten „angeblichen“ Irish Settern aus Irland widmete er keinen Blick, so als würde es sie nicht geben.

Die Setter mit amerikanischem Einschlag mit ihren flachen nichtssagenden Köpfen, ihren langen hinten überwinkelten und vorne steilen Gliedmaßen und ihrem dem Afghanen entlehnten Haarkleid ernteten nur seinen Hohn: „Willkommen ihr Kängurus in Europa“, lästerte er, denn die zahlreichen Importe aus Australien stammen aus amerikanischen Linien.

In Upsala auf einer Ausstellung saß er am Ring in seinen Freizeitshorts und betrachtete tiefsinnig die eintreffenden Hunde mit ihren Ringelschwänzen, die mit Stulpen, Mäntelchen und Ohrenschützern ausgestattet waren. Und fast beiläufig wandte er sich mir zu und sagte laut, so laut, dass es alle hören sollten: „Hänge ihnen eine Laterne an die Rute und sie leuchten dich nach Hause.“

Und es war nicht die einzige bissige Bemerkung, die ihm an diesem Tag über die Lippen kam.

In Wirklichkeit wusste er aber, dass dieser neue Setter seinen englischen „Idealhund“ verdrängen wird, denn der Mensch unterwirft sich gerne der Mode und im Showgeschäft ist schön, was im Ausstellungsring auffällt. Diese Hunde passen so gut zu den bunten Männer und den Frauen mit den kurzen Röckchen. Seine Ironie machte deshalb auch vor den Vorführern nicht halt. Die lustigen Vergleiche entlehnte er kurzerhand der exotischen Vogelwelt Südamerikas.

In seiner Setterburg, die auch schon bessere Zeiten gesehen hatte, umgeben von einem Garten in „Dornröschenschlaf“ lebte er mit und für seine Hunde. Die Welt konnte ihm nichts anhaben, die vielen Stechmücken, die um seinen Gartentisch schwirrten und mich zur Verzweiflung brachten, genau so wenig. Mit stoischer Ruhe drückte er sie auf seiner Stirn platt.

Setter in der Küche, im Wohnzimmer, Gästezimmer überall dort, wo sie sich wohl fühlten. Und er achtete darauf, dass jeder den ihm zugewiesenen Platz einnahm. Die Alten genossen das Privileg, einen Teil seiner Couch mitbenutzen zu dürfen.

Er war wie sein alter geräumiger Volvo, der in seinem Vorgarten stand, tagelang unbenutzt, aber wenn er gebraucht wurde, sprang er sofort an und lief präzise wie ein Uhrwerk.

Und wenn Tommy gebraucht wurde, besonders wenn es um Hunde ging, war er da und sein „Motor“ brummte laut mit seiner tiefen Stimme.

Und er passte in dieses bedächtige Land ohne Hektik mit den langsamsten Autobahnen Europas bestückt mit den gelb–schwarzen Schildern, die vor Elchen warnen sollen. Diese behäbigen Tiere waren nicht seine Freunde, da sie des Öfteren vor seinem Gartenzaun keinen Halt machten.

Er kannte die Setterzüchter dieser Welt, bei vielen Namen hatte er eine Anekdote bereit und er konnte über viele „Schwächen“ hinwegsehen. Wenn es aber um das Züchten als Kommerz ging, war er unerbittlich.

„Wahllose Verbindungen, ewige Wiederholungsverpaarungen nur damit die Kasse stimmt, bringen die Zucht und die Rasse nicht weiter“, meinte er und seine Wortwahl war dabei direkt und unverblümt.

Ich war überrascht, wie sehr er auch über die nach seiner Meinung „schwarzen Schafe in Deutschland“ Bescheid wusste.

Er wollte wahrscheinlich nicht wahr haben, dass es den Setter, wie er in seiner Vorstellung verankert war, nicht mehr gibt. Sowerhill Sailor of Wendover, genannt Digger, seinen großen Rüden der Vergangenheit, versuchte er verzweifelt durch tiefgefrorene Spermien wieder zum Leben erwecken.

Er merkte nicht, dass es nie mehr einen Sailor geben wird und dass auch seine Zeit zur Neige ging.

Doch er träumte weiter und sah einmal in Hazel, dann in Seven (die zwei letzten großen Champions seiner Zucht) den wiedergeborenen alten Sailor.

Ich will Tommy in Erinnerung behalten, wie er sich bei unserem Abschied aus Schweden krank und mühevoll auf den Rücksitz unseres Wagens presste, um Hazel „Hejda“ zu sagen.

Oder besser noch, Tommy mit einem Glas Rotwein in der Hand, still und nachdenklich am Fenster unseres Wohnzimmers in Bammental.


04.04.2020 Richard Didicher > HJP

Je älter man wird, umso mehr stellt man diese Weltordnung in Frage.

Warum werden so viele der besonderen Menschen uns viel zu früh entrissen? Er hatte alles, was einen wahren Menschen ausmacht:

Intelligenz, fachliche Kompetenz, Selbstbewusstsein und eine Riesenportion Freundlichkeit. Mir imponierte besonders sein Umgang mit der vermeintlichen Führungselite. Er zeigte ihnen ihre Grenzen auf und ließ sie klein wirken. Die Funktionäre in der Hundewelt nahm er sowieso nicht ernst. Und er liebte alle Setter und besonders seine A., die auch ich wunderschön fand.

Es blieben nur unbeschwerte Erinnerungen, wie Sequenzen aus einem Film, die ich manchmal in Gedanken abspule:.....nach einer Ausstellung bei einer angeheiterten Richterin, beschlossen wir vorzeitig den Spuk zu beenden. Ganz selbstverständlich hob er den Zaun des Ausstellungsgeländes hoch und wir verschwanden.......die Fahrt nach Luxemburg und anschließend in die Niederlande, um uns Welpen anzusehen.

Er fand sie alle schön. Hinstellen, vergleichen, fachsimpeln über so herrliche Tiere, wie muss er sich über uns amüsiert haben, wenn er uns beobachtete. Er liebte Setter, da sie so herrliche Wesen sind, ihrer selbst Willen und nicht als Paradestücke.Wir fuhren zurück mit 200 km/h im GTI auf der Autobahn, für mich ein mulmiges Gefühl, ich saß auf dem Beifahrersitz und bremste automatisch mit. Er liebte es schnell zu fahren und er freute sich mit uns zu Hause einen St. Emilion-Grand Cru zu genießen, denn er war ein Gourmet und ich war beeindruckt.......sein hochroter Kopf vor dem Belegen einer Hündin.

War es Aufregung und Sorge, weil er Hunde so liebte? War es Peinlichkeit bei diesem von Menschen geplanten und inszenierten Geschlechtsakt? Ich werde es nie erfahren.........die meisten der Setterausstellungen habe ich vergessen, nur eine wird mir immer in Erinnerung bleiben, da so unbeschwert und voller Lebensfreude, denn wir verabschiedeten uns stets mit einem Glas Bitburger und obwohl ich mir nichts aus Bier mache, trinke es gelegentlich heute noch mit einer wehmütigen Erinnerung an diese unbeschwerte Zeit..........die Linzertorte, die ihm besonders schmeckte; und die gebraten Hähnchen vom „Ochs“ in Mauer......... die Fahrt im Cabrio durch die Stadt und der Strafzettel, da meine Tochter, damals im Alter unserer kleinen Paula , nicht angeschnallt war... ....und Gespräche über Politik, die Welt und das Leben....

Alles nur „Erinnerungsfetzen“, aber ich freue mich, dass es sie gibt.


28.03.2020 Richard Didicher:

Jo und Joli

Ein Name aus zwei Buchstaben und dabei ein Mann von einer besonderen menschlichen Größe und ein Setter, der seinen Besitzer voll im Griff hatte.

Dieser war stets der Meinung: „Joli will alles richtig machen.“. Ich habe ihm nie widersprochen, obwohl ich der Ansicht war, dass Joli das machte, was er gerade wollte.

Wir standen oben auf einem Deich am Neckar und unten auf der Wiese hetzte Joli fröhlich die Hasen, doch Jo meinte, dass das für einen Jagdhund normal wäre.

Jo war ja auch Jäger und er musste es ja wissen, obwohl ich eigentlich nie erlebt habe, dass er ein Stück Wild erlegt hatte.

Unser „ Jagderlebnisse“ werden mir immer in Erinnerung bleiben.

Jo und ich waren oft mit den Hunden unterwegs in seinem Revier am Stadtrand. Es war Jagdzeit. Überall Fasanen, die stolz über die Altgraswiesen stolzierten und majestätisch mit viel Lärm, wenn sie uns gewahr wurden, in die Lüfte stießen. Jo legte stets an, fand aber immer einen Grund nicht abzudrücken. Einmal war es eine Henne, die er schonte, dann war ein Ast dazwischen oder die Entfernung zum Ziel war zu weit oder zu nahe. Später merkte ich erst, dass er es nicht fertig brachte, diese herrlichen Vögel zu töten.

An manchen Tagen durchstreiften wir die Natur und er zeigte mir das Balzspiel der Rebhühner, die es damals bei uns noch gab.

Unsere „Jagdtage“ endeten stets mit einem ausgiebigen Männerfrühstück, das er am Morgen bereits vorbereitet hatte.

Aber wir waren auch in Sachen Hundeausstellung unterwegs und in Straßburg waren wir jedes Jahr präsent.

Dass Joli gewann, wurde zur normalen Selbstverständlichkeit, außergewöhnlich aber waren unsere Abende am Tag davor. Dafür suchte Jo rechtzeitig mit Hilfe seines Gide Michelin eines der Straßburger Gourmetrestaurants aus und ich reservierte das Hotel. Unvergessliche Abende und ich merkte gar nicht, dass ich dabei, ohne es zu merken, jedes Mal ein „Weinseminar“ bei dem größten Weinfachmann, dem ich je begegnet bin, belegte und ich habe nachher in Frankreich noch zahlreiche Winzer kennengelernt, auch gute und weniger gute, keiner aber mit dem Fingerspitzengefühl von Jo.

Er brachte mir stets, fast wie zufällig, Flaschen zum Probieren nach Bammental: „Lass uns später darüber sprechen“, meinte er nur nebenbei. Und wir sprachen und sprachen und ich lauschte und lauschte und schaute zu ihm auf.

Er überragte die Menge durch seine bloße Anwesenheit und wenn er sprach, wurde es um ihn still. Er war ein Mann der Praxis, kein Historiker und auch kein Politiker. Und dennoch begriff er die Zusammenhänge zwischen Gegenwart und Vergangenheit wie kein anderer.

Er fühlte sich im Kreise der Hundeleute wohl und er hatte ein Gespür für Menschen. Schmarotzer und Heuchler waren ihm zuwider. Seine dezenten Warnungen habe ich leider nicht immer ernst genommen.

Er war heiter und weise, in den letzten Jahren seines Lebens nachdenklich und Joli war immer an seiner Seite. Als dieser älter wurde, machte er wirklich alles richtig und er wurde ein Teil von Jo.

In meinem Weinkeller lagern seit vielen Jahren auch Flaschen aus dieser Zeit, die heute nicht mehr trinkbar sind, aber für mich dennoch von unschätzbarem Wert, denn es sind wertvolle Erinnerungen.

The Red Love Julius Cäsar, genannt Joli


22.03.2020 Richard Didicher:

„B“ und Joy

Ich werde sie immer sehen in ihrem weiten weißen Kleid, schön wie eine Göttin, mit Joy an der Leine; eine kranke, aber fröhliche Frau.

Sie war anders als alle Menschen, denen ich vorher begegnet bin. Manchmal etwas fremd , wie aus einer anderen Welt.

Joy war eine Setterhündin, auch anders als ihr „Haudegengeschlecht“. Die Ecken und Kanten ihres Bruders Fire und die Gerissenheit ihrer Mutter Stella waren ihr fremd. Sie war stolz und unnahbar und sie gab jedem zu verstehen, dass sie nur für diese Frau da war.

Wir haben mit „B“ viele gemeinsame Stunden verbracht, an ihrer Küchentheke aus Marmor mit wundervollen Speisen und herrlichen Weinen.

Eines Tages kam sie mit einem großen Fisch in der Kühltasche, der für sechs Personen gereicht hätte. Ich bedauere noch immer, dass ich sie meine Verzweiflung spüren ließ, da ich nicht wusste, wie ich diesen „Riesenfisch“ zubereiten sollte.

Sie lebte wie eine Rose, die ihre ganze Kraft für einen Tag in einer großen duftenden Blüte offenbarte. So viel stille Größe, so viel Freundlichkeit in einem Menschen.

Sie besuchte uns in Frankreich und wir genossen die Zeit, so als würde es kein Ende geben und so als hätte diese furchtbare Krankheit ihre zerstörende Kraft verloren.

Ein Klappfahrrad und einen Gartensessel ließ sie zurück für das nächste Mal, wie sie sagte.

Sie verwöhnte ihre Joy und teilte ihr Leben mit ihr. Aber sie wusste auch, dass die Zeit kommen wird und ihre Kräfte nachlassen werden. Und sie sorgte vor. Joy verbrachte noch einige Jahre bei einer Freundin, bis sie dann „B“ folgte.

Wenn ich heute durch Heidelberg fahre, sehe ich sie noch immer in ihrem weißen Kleid mit Joy an der Leine auf der Neckarwiese den Schwänen zusehen und ich muss an Kleist denken mit seiner Schwanenmetapher. Der Schwan, der untertaucht und rein aus den Fluten wiederkehrt.