Der Irish Setter im Wandel?

Vor mir liegen zwei Standardwerke: Das im Jahre 1973 in Großbritannien erschienene Buch von Gilbert Leighton – Boyce „Irish Setters“ und das bereits 1964 in Deutschland erschienene Werk von Waldemar Marr „Englische Vorstehhunde, Pointer und Setter“.

Ich blättere in der Geschichte: Menschenhimmel und Hundehimmel. Selbstbewusst lächelt mich eine jugendliche Sybil Lennox (Brackenfield) an, ich kannte sie nur als alte englische Lady mit Stock, daneben ein Bild der „strengen“ Mrs. Walker (Hartsbourne) oder des lockigen Charmeurs James (Wendover) und ich sehe Hunde, die im Stammbaum fast aller unserer heutigen Hunde sind:

Setter von guter Größe mit perfekten Winkelungen, sportlich und mit schöner mittellanger Befransung.

Die „Vorzeigehunde“ von Marr sind vom gleichen Typ: Witheseal Hartsbourne Dennison, Elke von Bergstücken oder Shandon O`Cuchulain oder ein F. Tr. Ch Una Monruad.

Lediglich die Trialer sind bis heute ihrem Aussehen treu geblieben.

Hartsbourne und Brackenfield haben ebenfalls versucht ihren Typ zu bewahren. Durch Zuchtauslese wurden der Körperbau ihrer Hunde noch straffer, die Köpfe eine Mischung zwischen weich und herb, das Haarkleid blieb in seiner ursprünglichen Form.

Gerade heute habe ich bei „Irish Setters UK & Ireland“ gesehen, dass Sybils Zwinger von Mrs. Shepherd weitergeführt wird und einen Wurf mit fast 75% Brackenfields im Stammbaum erwartet. Welch ein Mut bei dem heutigen Showzirkus! Wendover dagegen hielt nicht inne, der Typ wurde verfeinert, Eleganz, Schönheit, weicher Gesichtsausdruck, Volumen, seidiges, dunkles Haar.

Ich dachte vor Jahrzehnten schon, mehr geht nicht. Doch mehr ging, denn der berühmte Kerryfair Nightfever kam und alle „lagen ihm zu Füßen“ und ich dachte wieder, jetzt ist aber Schluss, mehr Adel ist nicht möglich. Leider ein Trugschluss. Das imposante Haarkleid wurde bei der Nachzucht potenziert, dies leider manchmal auf Kosten von Winkelungen und Körperbau, die neben der Bewegung aus dem Blickfeld gerieten: Porzellanhunde für die Austellungsvitrine.

M e h r   w a r   a l s o   m ö g l i c h .

Doch plötzlich konnte die Vorhand steil und die Schulter gerade sein, dazu aber „verpflichtend“ eine sehr gut gewinkelte Hinterhand.

Diese kann jeder Richter erkennen. Naturgemäß erzeugt diese ordentlich Schub, eine Kraft, die von der steilen Schulter nicht aufgefangen wird und notgedrungen „rudern“ die Hunde beim Laufen mit den Vorderpfoten in der Luft. Dies wirkt umso grotesker, da viele Hunde auch an Masse zugelegt haben.

Bei manchen Ausstellungen ist Gangwerk nur ein lästiges Pflichtprogramm.

Doch gerade in diesem Bereich hat sich in den letzten Jahren dank VDH in der Kynologie viel getan. Das 2011 veröffentlichte Werk über die Bewegung des Hundes ist bahnbrechend: Erstmalig wird in diesem Buch die Fortbewegung von Hunden wissenschaftlich fundiert und gleichzeitig allgemein verständlich dargestellt und erklärt. Es basiert auf der von gkf und VDH-Mitgliedsvereinen finanzierten Studie, die unter der Leitung von Professor Dr. Martin Fischer in Jena durchgeführt wurde. Eine innovative Bildsprache illustriert die Anatomie des Hundes auf spannende Weise und zeigt die Zusammenhänge von Skelett, Muskulatur und Fortbewegung.

Die weltweit größte Studie von über 300 Hunden aus 32 verschiedenen Rassen ergibt völlig neue Erkenntnisse zu den Bewegungsabläufen von Hunden.

Die beiliegende DVD mit über 400 Filmen, Röntgenfilmen und 3D-Animationen belegt die Vielfalt und Einheitlichkeit der Hundefortbewegung in nie erreichter Genauigkeit und Anschaulichkeit.“, so wird dieses Buch auf der Homepage des VDH vorgestellt.

Dieses Buch sollte weltweit „P f l i c h t l e k t ü r e“ für alle Zuchtrichter sein.

Zucht ist Auslese, Gesundheit und Wesen sollten diese bestimmen, aber auch das Auge kann beteiligt sein, das aber nur, solange es nicht zu einem Diktat der Optik kommt.

Imposanter Körperbau, reichhaltiges Haar, das mit Stulpen und Mäntelchengeschützt wird, will das überhaupt der Setterliebhaber, der mit seinem Hund durch Wald und Wiesen streift???

Im Hochleistungssport kursiert die verheerende Devise „schneller, höher, stärker“.

Für unsere Setter müsste es im Hinblick auf Haar und Körperbau heute leider lauten: länger, größer, schwerer.

Und da gibt es einen Standard, der bestimmte „Veredelungen“ im Laufe der Jahre zulässt, aber keine Verunstaltungen auf Kosten von Körperbau und Bewegung.

Was ist dieser Standard, der für alle Irish Red Setter gelten sollte Wert?

Anfang des Monats erhielt ich über den VDH ein Schreiben von der FCI.

Es wird uns klar und deutlich mitgeteilt, dass die vor zehn Jahren von Großbritannien beantragte Übergangsfrist, die Größenmaße betreffend, schon damals abgelehnt wurde und der aktuelle Standard für uns bindend ist

(Rüden: 58 - 67cm, Hündinnen: 55 – 62cm).

Der amerikanische Standard aber sieht für Rüden 27 inches (68,6cm) und für Hündinnen 25 inches (63,5cm) als maximale Höhe vor, betont gleichzeitig, dass Übergrößen nicht disqualifizierend sind.

Die steile Vorhand und die überwinkelte Hinterhand sind zwar nicht erwünscht, werden aber toleriert, da „Gang und Gebe“ in der amerikanischen Zucht.

(Interessanter Weise habe ich in den letzten Jahrzehnten zwei Weltausstellungen in Westeuropa erlebt, bei welchen die Irish Red Setter von südamerikanischen Richtern gerichtet wurden, die sich am amerikanischen Standard orientieren.)

Die Franzosen führen zwar den FCI Standard mit seinen Größenangaben an, legen aber gleichzeitig Wunschgrößen in einer Zuchtrichteranleitung fest:

Rüden: 59 - 64 cm, Hündinnen: 56 - 60 cm.

Die Kruppe kann (soll?) abfallend sein, der Rücken darf eine Einbuchtung aufweisen (Abb. a).

Mit einem Hund der diese „gewünschten „ Maße übersteigt in Frankreich im Ring zu erscheinen bedeutet, verächtliche Blicke ernten und eine sichere Niederlage.

Welch ein „Wirrwarr“! Welches ist also der „wahre“ Irish Red Setter???

Ein harmonischer Hund von mittlerer Größe, ausgewogen mit einer korrekten Vorder- und Hinterhand - Winkelung, mit straffem Rücken, Kruppe nicht abfallend, dunklen Augen, edlen Kopf, sanftem Ausdruck, schönem dunklen Haarkleid von mäßiger Länge u. fließendem Bewegungsablauf, nicht mehr und nicht weniger.

Richard Didicher